Murabba garde

Wo Saudi-Arabiens Vergangenheit die Zukunft berührt

Ein Besuch im Murabba-Palast in Riyadh

Foto: Redaktion

Es ist doch wieder Mittag geworden und die Sonne hängt grell über der Stadt. Das Thermometer kratzt an den üblichen 42 Grad. Auf den sechsspurigen Straßen Riyadhs rauschen SUVs vorbei und die Skyline mit ihren gläsernen Türmen glitzert – Sinnbild des neuen, ehrgeizigen Saudi-Arabiens. Wenige Fahrminuten entfernt aber, noch immer mitten im Zentrum, liegt ein Ort, der an eine andere Zeit erinnert: der Murabba-Palast. Es ist eine Lehmburg aus der Gründungszeit des saudischen Königreiches. Wen es jemals nach Riaydh verschlägt, der sollte sich zwei Stunden Zeit nehmen für einen Sneak in die Vergangenheit.

Murabba hof3

Schon das Tor wirkt wie eine Schwelle in die Geschichte. Kaum betritt man den Innenhof, verändert sich die Geräuschkulisse: Der Verkehr verstummt, der Wind übernimmt. Singvögel zwitschern und Tauben gurren. Ganz bestimmt tun sie das auch außerhalb der Palastmauern – aber hier fallen ihre Stimmen umso mehr auf. Als Europäer verbindet man solche Orte mit dem Mittelalter. Im Nahen Osten aber, da muß man nur 100, vielleicht 200 Jahre zurückgehen. Denn hier, in diesem Palast, nahm die moderne Geschichte des Landes ihren Anfang – vor nicht einmal 100 Jahren. Denn die Lehmburg des Murabba-Palastes wurde zwischen 1936 und 1938 erbaut. Nicht etwa als Huldigung an vergangene Zeiten, sondern als Wehr- und Wohnbau in der State-of-Art-Architektur ihrer Zeit. Denn der Bauherr, König Abdulaziz Al Saud, war keiner, der zurück blicken wollte. Er hatte einen Traum vom modernen Arabien.

Mitte der 30er Jahre war Riyadh eine kleine, ummauerte Stadt in der Wüste. König Abdulaziz wollte mehr: einen neuen Regierungssitz außerhalb der alten Stadtmauern, der Platz für Wachstum bot – und ein Symbol für Fortschritt sein sollte.

Murabba, das bedeutet schlicht „Viereck“ – nach dem symmetrischen Grundriss des Gebäudes. Doch hinter der Einfachheit steckt Raffinesse: Die Wände bestehen aus handgeformten Lehmziegeln, gestützt von Palmstämmen und Holzbalken. Diese traditionelle Bauweise, typisch für die Najdi-Architektur, schafft ein natürliches Klima. „Alles hier wurde von Hand gebaut“, erklärt mir ungefragt ein vermutlich gelangweilter Wachmann, der mit mir ins Gespräch kommen will. Ich könne ihn einfach Mister Mo nennen sagt er. „Die hatten hier keinen Zement, keine Maschinen, nur Lehm, Holz und viel Geduld.“ Tatsächlich scheint es so, als würde sich nur sehr selten jemand in dieses Gebäude verirren, der nicht Teil einer 25-köpfigen Reisegruppe ist.

Murabba garde
Murabba wüste

Im Hauptgebäude führt eine hölzerne Treppe zu den Wohnräumen des Königs. Die Einrichtung ist schlicht, aber würdevoll: geschnitzte Türen, bunte Teppiche, niedrige Sitzpolster. In einer Ecke steht ein Relikt, das damals als Sensation galt – der erste elektrische Aufzug Saudi-Arabiens. Er wurde speziell für König Abdulaziz eingebaut, der sich mit zunehmendem Alter schwer tat, die Stufen zu steigen. Heute ist der Aufzug stillgelegt, doch er steht sinnbildlich für den Wandel, den das Land damals begann. Während Europa in den 1930er-Jahren bereits seit Jahrzehnten industrialisiert war, markierte dieser kleine Lift für Saudi-Arabien den Aufbruch in die Moderne. Einige Räume sind museal gestaltet: alte Fotografien, Dokumente, Waffen und persönliche Gegenstände des Königs erzählen von den frühen Jahren des Staates. Besonders beeindruckend sind die Schwarzweißfotos von Riyadh aus den 1940er-Jahren – eine Stadt aus Dattelpalmen und Kamelen, kaum wiederzuerkennen.

Der Murabba-Palast ist eine kleine Zeitreise. Draußen, jenseits der Mauern, wachsen futuristische Projekte wie Diriyah Gate und der King Salman Park – Teil der landesweiten Vision 2030, mit der Saudi-Arabien sich wirtschaftlich und kulturell neu erfindet. Drinnen erzählen die Wände noch von einem Land, das sich gerade erst selbst entdeckt hat. Im ehemaligen Audienz-Raum des Königs treffe ich auf ein paar Saudis, in landestypischem Outfit stehen sie dort, scrollen auf ihren Smartphones, machen Selfies vor den alten Türen, lachen. Einer schaut mich an, ich grüße kurz „Sa’lam, kief’al-ak“. Wir wechseln ein paar Worte, „Wir kommen her, um zu verstehen, wo alles begann“, sagt Abdullah. Er kommt aus den Bergen, ist nun Student in Riyadh „früher war Geschichte für uns nur Schulstoff. Jetzt fühlen wir, dass sie Teil unserer Identität ist.“

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Diese Verbindung von Alt und Neu prägt das heutige Saudi-Arabien. Die Regierung investiert massiv in Kulturprojekte, Restaurierungen und Museen, um das historische Erbe sichtbarer zu machen. Der Murabba-Palast spielt dabei eine zentrale Rolle: Er ist nicht nur ein Museum, sondern ein Symbol für nationale Erinnerung – und für den Stolz, beides zu vereinen: Tradition und Fortschritt. Architektonisch ist der Palast ein Beispiel dafür, wie regionale Baukunst auf Nachhaltigkeit trifft. Die Lehmziegel wurden aus Erde, Wasser und Stroh gefertigt, getrocknet unter der Sonne – das waren die verfügbaren Rohstoffe zur damaligen Zeit. Die Fenster sind klein, aus Wehrgründen, aber auch, um die Hitze draußen zu halten. Die gefliesten Innenhöfe sorgen für Luftzirkulation.

Für Besucher, ob aus Saudi-Arabien oder dem Ausland, ist der Palast mehr als eine Sehenswürdigkeit. Er ist ein Stück lebendige Geschichte – und ein Schlüssel zum Verständnis eines Landes, das sich neu erfindet, ohne seine Wurzeln zu vergessen #

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