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Hinweis der Redaktion: Diesen Artikel haben wir 2024 erstmals veröffentlicht und 2025 aktualisiert
Seit 1952 war Saudi-Arabien ein vollkommen trockener Staat – alkoholische Getränke durften weder verkauft, noch importiert oder auch nur besessen werden. Dies galt für alle, die sich innerhalb der Landesgrenzen aufhielten, die Religionszugehörigkeit schaffte da keine Ausnahme.
Im Januar 2024 kam dann eine erstaunliche Meldung von der saudischen Presseagentur: Im Botschaftsviertel der Hauptstadt Riyadh war absofort ein Schnapsladen erlaubt, in dem ausschließlich nicht-muslimische Diplomaten ausländischer Niederlassungen unter bestimmten Bedingungen Alkoholika einkaufen können. Fortschrittlich und typisch für Saudi-Arabien: Die gültige Berechtigung für den Alkoholkauf, den Besitz und den Konsum kann man bequem und digital per Diplo-App nachweisen. Jetzt, Ende 2025 kommt man mit einer weiteren Lockerung der Gesetzeslage: Auch im touristisch und wirtschaftliche starken Jeddah und in der Ölmetropole Dammam werden Alkoholgeschäfte öffnen. Zudem wird die Bindung der Konsumenten an den Diplomaten-Status aufgehoben.
Insgesamt erinnert dies an den Umgang mit Alkohol, den einige Bundesstaaten der Vereinigten Arabischen Emirate (z.B. Dubai) vor rund 20 Jahren eingeführt hatten. Seitdem ist es nicht-muslimischen Ausländern dort erlaubt, am Flughafen oder in meist versteckten Geschäften ein bestimmtes Kontingent an alkoholischen Getränken für den privaten Konsum zu erwerben, was von staatlicher Seite registriert wird. Die gegenwärtige Liberalisierung in Saudi-Arabien lässt sich anhand zahlreicher Beispiele mit den Entwicklungen in den VAE der letzen 25 Jahre vergleichen.
Zurück nach Riyadh – Zutritt zum Schnapsladen erhalten nur die autorisierten Besucher selbst, also keine Begleiter die vielleicht beim Tragen der klimpernden Einkäufe helfen könnten. Das Fotografieren ist strengstens untersagt und alle Einkäufe unterliegen auch in Saudi-Arabien einem monatlichen Quotensystem pro registrierter Person. Der Staat will die Gewohnheiten seiner Schluckspechte kennen. Dass man zuerst eine Lockerung der Situation für Diplomaten umgesetzt hatte, liegt nahe. Denn diese Klientel war schon immer dafür bekannt, die eine oder andere Flasche im Diplomatengepäck nach Saudi-Arabien einzugeschmuggeln. Oder auch Kisten, wenn mal eine Party anstand.
Legaler Erwerb als Maßnahme gegen Kriminalität und Schmuggel
Aber genug der Diplomatenschelte. Die illiegale Einfuhr von Alkohol nach Saudi-Arabien war längst ein organisiertes Geschäft, ähnlich dem mit anderen Rauschmitteln. Das ist ein Grund dafür, dass Saudi-Arabien seine Küste am Roten Meer gut im Auge behält, wo Ägypten in Sichtweite ist und die Schmuggelboote klein und schnell sein können. Eine staatlich koordinierte und entsprechend überwachte Bezugsmöglichkeit kann den Schmuggel eindämmen. Vor allem Ausländer, die im Königreich leben und arbeiten, werden den offiziellen Einkauf von Alkoholika immer bevorzugen, anstatt in einer Tiefgarage ein paar Flaschen unbekannter Provenienz von einer „fishy person“ zu übernehmen. Nach wie vor steht der unerlaubte Besitz schon einer Dose Bier unter Strafe und kann unangenehme Folgen haben. Denn kein ausländischer Arbeitgeber möchte wegen den Verfehlungen eines Mitarbeiters, der seinen Durst nicht unter Kontrolle hat, beim Staat anecken. Dessen sind sich auch Expatriats bewusst.
Der Schritt, eine legale Bezugsquelle für Alkoholika zu schaffen, jetzt auch für Nicht-Diplomaten, aber auschließlich für Einwohner, kommt nicht ganz unerwartet. Und er ist im Königreich umstritten. Denn auch, wenn der Kreis der bezugsberechtigten Personen überschaubar ist und bleibt, so sehen doch viele konservative Saudis einen Riss, der einen Damm zum Einsturz bringen könnte.
Skepsis in konservativen Kreisen, geringer Newswert für Expats
Bei aller Berichterstattung über die unzweifelhaft herausragenden gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen im Königreich, ist doch der fundamental-religiöse Anteil der Bevölkerung nach wie vor stark. Es wird im Westen gern übersehen, dass die zahlreichen Liberalisierungen, die vor allem von Premierminister Mohammed bin Salman ausgehen, im Staat selbst auf gehörige Skepsis treffen, zumindest in bestimmten Kreisen. Rund 50 Jahre setzte die staatliche Dokrin alles auf höchste Religiosität. Das prägt eine Gesellschaft und lässt sich nicht von heute auf morgen abstellen. Der Kurs der Regierung, angetrieben von den Visionen des Thronfolgers und durchaus vom amtierenden König vorbereitet, wird lange nicht von allen Teilen der Bevölkerung akzeptiert und birgt neben den unbestreitbaren gesellschaftlichen Chancen durchaus auch ein ebenso realistisches politisches Risiko in sich.
Aber auch unter den ausländischen Arbeitnehmern, die erst seit ein paar Jahren in Saudi-Arabien leben, also bereits nach der Verkündung der Vision 2030 mit ihren Liberalisierungen ins Land kamen, ist der Newswert überschaubar. Oft wird Alkohol in diesen Kreisen weit wenig vermisst, als ein Außenstehender vermuten wird. Denn Kurzausflüge über die Grenze nach Abu Dhabi, Dubai oder Bahrain sind üblich und stehen oft auf dem Zettel. In den dortigen Hotelbars kann man sein Bier oder einen gepflegten Cocktail ohne Gewissensbisse genießen; sogar einen Pub inklusive eigener Mikrobrauerei gibt es in Abu Dhabi schon.
Seit ein paar Jahren kursieren Gerüchte, dass das Golfkönigreich im Rahmen seiner breit angelegten Kampagne zur Liberalisierung der saudischen Gesellschaft und zur Gewinnung von internationalen Touristen und Expatriates bald Alkohol erlauben würde, womöglich (so wie in anderen muslimischen Nachbarstaaten auf der arabischen Halbinsel) auch in größerem Rahmen in internationalen Hotels und Resorts. Die drei Schnapsläden in den Großstädten wären ein kleiner Schritt in diese Richtung #