Foto: Abdullah Al-Jahdhami
Das Jahr 2017 war auch in Saudi-Arabien ein besonderes Jahr. Im Königreich wurden die ersten Veränderungen Realität, die der junge Kronprinz Mohammed bin Salman parallel zu seinem steigenden Einfluß im Staat umsetzen konnte. Ein winziges Detail, das sich im gleichen Jahr ereignete – fern der gesamtgesellschaften Umwälzungen – war die Veröffentlichung eines neuen Schulbuchs durch das Bildungsministerium.
Im Lehrbuch für das Fach Sozial- und Staatskunde war ein historisches Foto vorgesehen, das die saudische Delegation unter Führung des späteren König Faisal bei der Unterzeichnung der UN-Charta zeigen sollte. Erst nach der Auslieferung der gesamten Druckauflage wurde klar, dass sich bei der Auswahl des publizierten Fotos ein Fehler eingeschlichen hatte:
Dieses Foto, vom saudischen Künstler Shaweesh bearbeitet, fand irrtümlich seinen Weg ins Schulbuch – die Auflage musste eingesammelt werden und der zuständige, vielleicht lesebrillen-lose Mitarbeiter wurde auf Urlaub geschickt. Unten das Originalfoto von der Unterzeichung der UN-Charta, das Shaweesh als Vorlage nutzte. Die Ähnlichkeite beider Fotos (auf den schnellen Blick) lässt erahnen, dass der ganzen verrückten Geschichte tatsächlich ein Flüchtigkeitsfehler zugrunde liegen dürfte
Den Trubel, den dieser Fauxpas im Königreich auslöste, kann man sich leicht vorstellen. Die Bandbreite der Reaktionen ging von ungläubigen Staunen über amüsiertes Gelächter bis zur Vermutung staatszersetzender Umtriebe. Der zuständige Mitarbeiter des Bildungsministeriums wurde beurlaubt. Das Foto mit dem Titel “Der letzte Jedi”, welches tatsächlich nicht aufgrund einer Verschwörung, sondern aus simpler Nachlässigkeit in das Schulbuch geriet, ist eines der frühen Werke von Abdullah Al-Jahdhami, das er schon 2013 geschaffen hatte. Heute ist der Grafiker und Künstler besser bekannt als Shaweesh. Zum Abdruck seines Fotos sagt er, es sei das Beste, das ihm und seiner Kunst je passiert sei. Denn durch eine kleine Nachlässigkeit wird sein Werk nun für immer in den Geschichtsbüchern zu finden sein, und die Leser dazu zwingen, über die Erfahrungen nachzudenken, die die arabische Gemeinschaft geprägt haben.
Die meisten Leute sind überrascht, wenn sie erfahren, dass es in Saudi-Arabien eine blühende zeitgenössische Kunstszene gibt
Abdullah Al-Jahdhami, besser bekannt als Shaweesh – Künstler aus Riyadh
Shaweesh’ künstlerische Laufbahn kann man typisch nennen für kreative Menschen in Saudi-Arabien, die um das Jahr 1990 geboren wurden. Eine Jugend im noch verschlossenen, dem “alten” Saudi-Arabien, bietet kaum künstlerischen Spielraum. Eher klare Perspektiven in traditionellen Disziplinen, die meistens mit Öl, Finanzen, Religion oder Ingenieurwesen zu tun haben. Abdullah Al-Jahdhami entscheidet sich für ein Studium des Maschinenbaus und zieht dafür von Riyadh in die Industriestadt Jubail. Hier beschließt er nach zwei Jahren, das Studium an den Nagel zu hängen, seiner kreativen Neigung zu folgen und sich der alternativen, jungen Kunstszene zuzuwenden. Der Wind of Change ist da bereits als leichter Hauch fühlbar, und Abdullah Al-Jahdhami hat das Glück und das Talent, mit der ersten Brise seine Segel zu füllen. Er ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort, trifft die richtigen Menschen und kann sich als junger Grafikdesigner mit außergewöhnlichen Ideen bei der TV-Produktionsgesellschaft Telfaz positionieren, die damals selbst auf der Suche nach Weiterentwicklung ist.
Schon vor dem medienstarken Abdruck von “Der letzte Jedi” ist Shaweesh außerhalb Saudi-Arabiens ein anerkannter Künstler, der seine Mixed-Media-Werke international ausstellt, darunter im Vereinigten Königreich und in den USA.
Seine Kunstwerke haben das Ziel, wichtige “Diffusionen zwischen Saudi-Arabien und der globalen Gemeinschaft” zu artikulieren. Durch die Kombination von Elementen der traditionellen Kunst und des Grafikdesigns zwingen seine Werke den Betrachter, eigene Überzeugungen zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen, gerade wenn es um das Verständnis des gesellschaftlichen Lebens und der Politik im Nahen Osten geht.
Als Künstler ist die Nostalgie eines seiner wiederkehrenden Themen, für das er Elemente aus seiner Kindheit zitiert. Von Spielzeug bis hin zu Comics und Superhelden analysiert er den Kontext, in dem kulturelle Figuren und Zeichentrickfilme, die er als Kind gesehen hat, entstanden sind. Shaweesh erkennt die intellektuelle Kraft und den Einfluss seiner Arbeit, nachdem er seine Werke in zehn verschiedenen US-Bundesstaaten ausgestellt hatte. Bei jeder Station führte er bedeutungsvolle Gespräche und Podiumsdiskussionen. Angesichts der Geschichte des Orientalismus und stereotyper Vorstellungen haben Künstler die Macht, die Narrative zurückzufordern, die die Mitglieder der arabischen Gemeinschaft von Natur aus isoliert haben. Um diese Ideen zu erforschen, interessierte sich Shaweesh für die Einbeziehung von Cartoons und Superhelden in seine Arbeit. In einer seiner beliebtesten Serien überlagert Shaweesh zum Beispiel amerikanische Kultursymbole wie Darth Vader und Captain America mit berühmten historischen Ereignissen…wobei auch “Der letzte Jedi” entsteht, heute sein bekanntestes Werk.
Mein Ziel ist es, mit meiner Arbeit die Gesellschaft zu reflektieren und das Bewusstsein für unausgesprochene Themen zu schärfen. Es ist wichtig, dass wir einen neuen Dialog zwischen den Generationen beginnen
Abdullah Al-Jahdhami, besser bekannt als Shaweesh – Künstler aus Riyadh
Nostalgie in der Kunst – in den Augen von Shaweesh sind Kindheitserinnerungen besonders wichtig für das heutige Leben der Araber, deren persönliche Gefühle und Erfahrungen durch zweifelhafte Bilder und Erzählungen geprägt wurden. Als er seiner eigenen Geschichte näherkommen will, beginnt er, nostalgische Gegenstände zu sammeln. Vieles davon kauft er auf Ebay, und zufällig fällt ihm auf, dass Kindern in westlichen Gesellschaften die arabische Kultur oft durch Zeichentrickfilme nahegebracht wird – ein Spiel zwischen Idealen, Stereotypie und romantischer Verklärung.
Als Künstler hat sich Shaweesh nicht nur von seiner Kindheit inspirieren lassen: “Ich schätze zwar die Arbeit anderer Künstler, aber ich lasse mich oft von Personen aus verschiedenen Bereichen wie Soziologie, Postkolonialismus und Musik inspirieren.” Dies wird durch die philosophische und intellektuelle Neugierde deutlich, die seine Arbeit hervorruft. Wenn seine Kunst andere dazu inspirieren kann, über ihre Überzeugungen nachzudenken und nach Wissen zu streben, dann hat sich seine Karriere umso mehr gelohnt #
