Von Zero to Hero

Die Strategie hinter dem Entertainment-Boom
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Foto: Saudische Presseagentur, MDLBeast, Redaktion

Aufmerksamen Lesern von #SaudiMag ist das nicht entgangen: Events und kulturelle Veranstaltungen haben für uns einen hohen Nachrichtenwert. Das liegt daran, dass bis zum Jahr 2018 die meisten kulturellen Veranstaltungen in Saudi-Arabien verpönt waren. Damals war das Königreich so konservativ-religiös, dass es keine Konzerte gab und kaum Musik, keine Filmproduktion und auch keine Kinos. Im Radio liefen ausschließlich religiöse Programme.

Mit dem wachsenden politischen Einfluß des heutigen Premierministers Mohammed bin Salman hat sich das Land zu einem Zentrum des Nahen Ostens für kulturelle Veranstaltungen, Kunstausstellungen, Musik und zeitgenössisches Entertainment entwickelt. Kinos gibt es heute in fast jeder Stadt, und Männer und Frauen können sich dort ungezwungen treffen und austauschen. Das 2016 vorgestellte Regierungsprogramm “Vision 2030” ist ein Reform- und Grundlagenplan zur sozialen und wirtschaftlichen Umgestaltung des Königreichs. Die Strategie zielt darauf ab, die Ausgaben der saudischen Haushalte für Kultur und Unterhaltung innerhalb des Königreichs auf 6 Prozent zu erhöhen und frisches Geld von ausländischen Besuchern ins Land zu holen.

Offensichtlich geht der Plan auf. Große Musikkonzerte wie “MDLBeast” unterhalten Hunderttausende von Menschen, es gibt internationale Filmfestivals und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst. Prominente Persönlichkeiten und Künstler sind häufig in Saudi-Arabien zu Gast – weil sie eingeladen werden. Oder, weil sie auf einem neuen Markt Präsenz zeigen wollen.

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Mit rund 37 Millionen Einwohnern ist Saudi eines der bevölkerungsreichsten Länder des Nahen Ostens. Mehr als die Hälfte der Einwohner ist um die 30 Jahre alt. Es gibt es ein gigantisches Bedürfnis nach Entertainment; bezüglich der jährlichen Wachstumsrate der Branche kann man unterschiedliche Angaben finden, immer ist sie aber erstaunlich. Was aber auch wenig wundert, da das Land bei Null startet. Übersetzt in Geldwert, wird der saudische Entertainment-Sektor in absehbarer Zeit eine Milliarde Euro schwer sein. Nun gut, vergleicht man dies mit deutschen Verhältnissen, wo allein das Münchener Oktoberfest alljährlich eine runde Milliarde in die Kassen der bayerischen Wirtschaft spült, ist das noch immer recht überschaubar. Aber es zeigt das große Potential, das im Entertainmentbereich steckt. Und es macht das strategischen Ansatz der saudischen Regierung deutlich:

Tatsächlich ist es so, dass die Saudis ihr Geld vor zehn Jahren noch im Ausland ausgaben, wenn sie sich unterhalten wollten. Sie reisten etwa in die Vereinigten Arabischen Emirate, um ein Konzert zu besuchen oder mit der Familie einen Film auf großer Leinwand zu sehen. Saudische Familien haben es genossen, ein Wochenende lang ungezwungen durch eine Mall in Abu Dhabi oder Bahrain zu schlendern. Rund 80% des für Unterhaltung ausgegebenen Familieneinkommens floß ins Ausland, so sagt es eine offizielle Statistik. Dieses Geld will die Regierung im Land behalten. Saudische Reals (das ist die Währung im Land) sollen in die Taschen saudischer Unternehmen fließen und nicht Arbeitsplätze in Dubai oder Manama finanzieren. Der Plan geht auf; heute gehen die Saudis in Scharen aus, um sich Filme, Events und Musik im eigenen Land anzusehen. Männer, Frauen und Kinder besuchen diese Veranstaltungen gemeinsam und erfreuen sich an Konzerten, bei denen einheimische und internationale Künstler auftreten.

Die Investitionen, mit denen der Staat seinen Entertainment-Sektor anschiebt, sind also strategisch angelegt und folgen betriebswirtschaftlichem Denken. Sie haben aber auch einen großen Einfluß auf die Mentalität der Bevölkerung, die sich plötzlich nicht mehr isoliert von der Welt wahrnimmt, sondern als Teil davon.

Die Saudis müssen heute nicht mehr reisen, um sich zu unterhalten, und Touristen können sich im Königreich unterhalten lassen. In der heutigen Welt kann man kein geschlossenes Land sein, in dem es keine Unterhaltung gibt. Das war der größte Faktor, der die Mentalität der Saudis beeinflusst hat

Kaswara Al-Khatib, Firmengründer, Regierungsberater & saudische Medienpersönlichkeit

Innerhalb des Entertainment-Sektors sticht der Bereich von Gaming und Esports heraus, das ist ein Crossover zwischen Entertainment und Sport. Und es ist einer der weltweit größten Wachstumsmärkte. Die Gamer-Community im saudischen Königreich soll rund 10 Millionen Menschen umfassen – einer davon ist der Premierminister selbst. Als Teil der Vision 2030 investiert das Königreich zig Millionen Euro in den Aufbau einer entsprechenden Industrie, und will in den kommenden Jahren an diesem Multi-Milliardenbusiness partizipieren. Es geht um Sponsorengelder, Tourismus, Lizenzgewinne. Und es geht um 39.000 Arbeitsplätze, die in dieser Branche entstehen werden. Allein den Launch der zwei großen Esport-Events in Riyadh, “Gamers8” und “Esports World Cup” #Saudimag hat sich Saudi-Arabien in den letzen beiden Jahren rund 100 Millionen Euro kosten lassen. Diese Veranstaltungen finden statt im riesigen, für Milliarden Euros vor der Stadt neu errichteten Unterhaltungskomplex, der “Boulevard Riyadh City”.

Zum Vergleich: In Deutschland, das früher einmal ein Innovations-Standort war, stehen 2024 50 Millionen Euro als Wirtschaftsförderung für den ganzen Bereich “Games” zur Verfügung – ein weites Feld. Man sieht es so, dass auch gar nicht mehr Geld nötig ist, weil “Subventionen keine Ideen für eine gute Geschichte in einem Computerspiel schaffen” – so jedenfalls bringt es der gamespolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben, auf den Punkt. Maik Außendorf (Grüne) und Anna Kassautzki (SPD) haben sich vorgenommen, Deutschland als Games-Standort zu stärken und die besagte Fördersumme zu “verstetigen”. Zudem möchte der deutsche Games-Verband eine Universität gründen und will dadurch zu einem Magneten für internationale Fachkräfte werden. Wenn man also aus dem berufenen Munde fachkundiger Spezialisten hört, welche Erfolge sich mit einer jährlichen Anschub-Förderung von 50 Millionen Euro umsetzen lassen…welchen Erfolg wird dann das Engagement Saudi-Arabiens bewirken, das in den letzen Jahren das Zehnfache in den Games-Sektor investiert hat?

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Auch die Filmindustrie profitiert vom neuen Denken im Königreich. Schaut man in die Geschichte, so sind gerade Filme in der arabischen Welt eine ganz erstaunliche Sache. Da gab es zwischen den 50er und 70er Jahren immer mal wieder aufstrebende Film-Industrien in verschiedenen Staaten. Vor allem in Ägypten, teilweise auch im kleinen Libanon, und wenn man sie denn hier mitzählen mag, auch in der Türkei und im Iran. Damals wurden Streifen produziert, bei deren offener Freizügigkeit man sich die Augen reibt, wenn man sie heute im Nachtprogramm eines Satellitenkanals sieht.

Saudi-Arabien hat keine eigene Filmgeschichte, wird sie aber bestimmt noch schreiben. Denn auch diese Branche und ihre kreativen Köpfe profitieren von einem groß angelegten Entwicklungs- und Förderprogramm. Junge saudische Filmemacher kehren nach Jahren der Ausbildung und Arbeit im Ausland zurück und können lukrative Filmförderungen abrufen, mit denen sie der regionalen Entertainment-Wirtschaft auf die Beine helfen. So gründete das Kulturministerium vor drei Jahren die saudische Film- und Medienkommission. Das ist eine staatliche Einrichtung, die sich – nach Vorbild der westlichen Welt – der “Entwicklung und Organisation des Filmsektors, der Steigerung des Produktionsniveaus, der Vermarktung saudischer Filme, der Förderung von Finanzierung und Investitionen und der Entwicklung von Inhalten” widmet.

Anfangs wussten die dort tätigen Mitarbeiter nicht, was eigentlich ihre Aufgabe ist, doch mittlerweile haben immer mehr den Sinn und die Mechanismen einer Filmförderung begriffen: Förderung des Films ist Förderung der eigenen Wirtschaft. Eine Industrie braucht Produktionsorte und fachkundige Mitarbeiter, die letztendlich ausländische Produzenten anziehen, die ausländisches Geld ins Land bringen. Und saudische Fördergelder sollen saudischen Filmmitarbeitern zugute kommen. Dabei kann der Staat auch Produzenten aus dem Ausland Fördergelder gewähren…wenn sie diese denn in Saudi-Arabien wieder ausgeben. Wir haben auf #SaudiMag mehrfach über die Förderungen #SaudiMag berichtet.

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Alles in allem sind die Mittel, die der saudische Staat für den Ausbau des Entertainment-Sektors in die Hand nimmt, enorm. Im November 2022 wurden Investitionen von über 60 Milliarden Euro angekündigt. Für westliche Beobachter ist das finanzielle Engagement des saudischen Staates – einer absoluten Monarchie – in den Privatsektor verwirrend bis verstörend. Warum gibt der Staat seine Einnahmen gleich an das eigene Volk weiter?

Die Erklärung liegt im traditionellen Selbstverständnis des Monarchen, seinem Volk zu dienen. Es ist ein Selbstverständnis, dass es auf der arabischen Halbinsel noch gibt, und worauf sich Saudi-Arabien gerade zurückbesinnt – so zumindest lassen sich die aktullen Investitionen lesen. Kenner des Nahen Ostens wissen sehr genau, dass die obersten Kreise des Staates diese traditionelle Verpflichtung in den letzen Jahrzehnten vergessen hatten; die Ölmilliarden flossen in die eigenen Taschen der Regierenden und beim saudischen Volk kam nur das Nötigste an. Das hat sich vor rund zehn Jahren geändert; als Oberhaupt seines “Tribes” fühlt sich der Monarch jetzt wieder dafür verantwortlich, dass es seinen Untertanen gut geht – und im Gegenzug für diese Fürsorge erwartet er die Treue seines Volkes. Mohammed bin Salman, der zukünftige König und selbst kaum älter als das Gros seines Volkes, bindet sein Volk an sich, damit es ihm die nächsten 50 Jahre die Treue hält. Ein uraltes Prinzip, das auf der arabischen Halbinsel durchaus vital ist – im Gegensatz zu den adeligen Dynastien in Europa, die oft einflußlos im eigenen Land, und kaum mehr als Jet-Set-Futter für die Yellow Press sind.

Die modernen Ideen des Thronfolgers und Premierministers Mohammed bin Salman von einem neuen, einem zeitgemäßen Saudi-Arabien haben um das Jahr 2018/2019 zu wirken begonnen. Plötzlich gibt es Künstler, Drehbuchautoren, Musiker, Filmproduzenten und alle Formen der bildenden Kunst – Talent, das immer da war, sich aber nie äußern konnte. Für die Menschen fühlt sich das wie eine Befreiung an – endlich werden die Bürger und ihre Ideen von der Regierung akzeptiert, denen sie zuvor immer aus dem Weg gehen mussten. Musiker mussten aus Angst vor der Religionspolizei heimlich spielen, DJ verschwiegene Tanzparties veranstalten, Maler konnten ihre Werke nur im Geheimen ausstellen.

Für die Kunst sind die Jahrzehnte, in denen sich Saudi-Arabien den religiösen Funadamentalisten unterworfen hatte – markiert durch das grauenhafte Massaker in der Großen Moschee in Mekka 1979 – ein noch uferloses Meer an Geschichten, die alle aufgearbeitet und erzählt werden wollen #

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