Das höchste Haus der Welt:

Saudis 1-Kilometer Bauversuch in Jeddah
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Foto: Adrian Smith + Gordon Gill Architects

Jeddah, am Rand des Roten Meeres. Die Saudis haben es also schon wieder getan. Denn, noch bevor die Sonne den Staub der Baustelle in Gold taucht, steht er da – unfertig, aber bereits dominierend: Ein Turm, der selbst im Fragment größer wirkt als ganze Skylines. Der Jeddah Tower wächst nicht einfach in die Höhe. Er widersetzt sich ihr.

Was hier entsteht, ist als das höchste Bauwerk der Menschheitsgeschichte konzipiert. Ein neues Superlativ, das die Saudi-Araber in die Welt rufen. Gerade so, als hätte man die letzten architektonischen Superlative und deren Schicksale schon vergessen…über die Baugrube von The Line, der als längste Stadt der Welt geplanten Metropole legt sich der Sand, das Inselresort Sindalah bemüht sich darum, in Vergessenheit zu geraten. Und die Skiwelt von Trojena skipt den Bau von Gebäuden, um überhaupt in die Nähe eines realistischen Eröffnungstgermins zu kommen. Der Jeddah-Tower sollte das höchste Bauwert der Welt werden und die Emiratis in Dubai in den Schatten stellen. Dessen geplante Höhe liegt heute bei bei etwas über tausend Metern – ursprünglich reichte die Vision sogar weiter – deutlich weiter. In frühen Entwürfen war von bis zu 1.700 Metern die Rede, einem Bauwerk, das den Himmel nahezu berühren sollte. Doch Architektur endet dort, wo Geologie beginnt. Der Untergrund von Jeddah, sandig, salzig und nah am Meer, setzte eine klare Grenze. Nicht der Wille war das Problem, sondern der Boden.

Der Turm wurde neu gedacht, nicht aufgegeben. Schlanker, präziser, realistischer – aber immer noch radikal. Der Baustart 2013 war ein globales Ereignis, wenige Jahre nach Fertigstellung des Burj Khalifa in Dubai. Internationale Ingenieure, ambitionierte Zeitpläne, ein Projekt, das mehr versprach als nur Höhe. Dann kam der Stillstand. Ab 2018 wurde es still auf der Baustelle, die Kräne verharrten wie eingefrorene Zeiger einer zu großen Uhr. Für viele wurde der Jeddah Tower zum Symbol eines überdehnten Traums.

Heute ist diese Lesart zu einfach. Denn der Bau ist zurück – ohne große Ankündigungen, ohne Pathos. Außergewöhnlich für die Saudis, die normalerweise für jeden Spatenstich einen großen Scheck nach London schicken, damit ein dortiges Graphikstudio eine feine Computeranimation zur Untermauerung eben dieses Spantensichts erstellt. Nein, es wurde stattdessen einfach wieder gearbeitet – Beton fließt, Etage um Etage wächst der Kern in die Höhe. Wer die Baustelle heute besucht, spürt keinen Zweifel, sondern Konzentration. Dies ist kein Ort für Spektakel. Es ist ein Ort für Präzision. Vielleicht ist die Konzentration auf mehr Realität eine Lehre, die die Saudis aus den Neom-Animationsbattles gezogen haben.

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Der Entwurf des US-Büros von Adrian Smith + Gordon Gill, folgt keiner ornamentalen Geste. Adrian Smith war schon die zeichnerische Hand hinter dem Burj Khalifa; die dreiflügelige Form der beiden Tower hier und dort ist eine Antwort auf Wind, Hitze und Schwerkraft. Schönheit entsteht aus Physik und Berechnung. Unter der Erde reichen die Fundamente tief in den Boden, über 100 Meter, ausgelegt für Lasten, für die es kaum Vergleichswerte gibt. Selbst die Aufzugssysteme mussten neu gedacht werden – vertikale Strecken, länger als ganze Hochhäuser anderswo. Im Inneren sind Wohnungen, Büros, öffentliche Räume und ein Four Seasons Hotel geplant. Ganz oben eine Aussichtsplattform, die höher liegen wird als jede andere der Welt.

Der Jeddah Tower ist eng verwoben mit Saudi Vision 2030. Er steht für ein Land, das sich neu erzählt: weniger abhängig von alten Modellen, stärker ausgerichtet auf Urbanität, Technologie und internationale Präsenz. Der Turm ist dabei nicht nur Ziel, sondern Mittel – ein sichtbares Zeichen dafür, dass Ambition wieder erlaubt ist. Ob er eines Tages exakt so vollendet wird, wie es die Pläne versprechen, bleibt offen. Doch schon jetzt erfüllt der Jeddah Tower seine wichtigste Funktion. Er verschiebt Maßstäbe. Nicht nur architektonisch, sondern mental. Vielleicht wird er das höchste Gebäude der Welt, Vielleicht bleibt er ein Fragment einer zu großen Idee.

Lvl

Während man in Dubai das Marketing nach vorn stellte und mit dem Burj Khalifa ein emotional fassbares Magnet für den Tourismus schaffte, wird der Jeddah Tower wohl eher ein technischer Fakt sein

Macht der Jeddah Tower aber – ganz sachlich gesehen – irgend einen Sinn, kann er besser werden als das gegenwärtig höchste Gebäude der Welt in Dubai? Wohl eher nein. Der Burj Khalifa bildet das Zentrum eines neuen Stadtviertels, welches sich dem Tourismus, dem Wohnen und Entertainment widmet. Der Jeddah Tower bildet hingegen das Zentrum eines Business-Distrikts. Während man in Dubai klug das Marketing nach vorn stellte und darauf setzte, ein emotional fassbares Magnet für den Tourismus zu schaffen, über das die Welt sprechen konnte, wird der Jeddah Tower wohl eher ein technischer Fakt sein. Ein Beweis, wie hoch man bauen kann, was Ingenieure leisten können und ihre Maschinen. Wenig Emption, mehr Statistik. Die langen Wege in einem Hochhaus vom Boden auf die höheren Etagen sind bereits im Burj Khalifa unpraktisch. Das wird beim Jeddah Tower nicht besser werden.

Am Ende geht es beim Jeddah Tower nicht um Meter

Nicht um Rekorde, nicht um Rankings, nicht um den Wettlauf der Skylines. Es geht um den Moment, in dem ein Land beschließt, größer zu denken als der Boden, auf dem es steht. Um den Mut, eine Idee zunächst zu überzeichnen – und sie dann so weit zu reduzieren, bis sie der Realität standhält. Der Jeddah Tower hätte höher werden können. Er wollte es sogar. Doch wahre Größe zeigt sich nicht darin, alles durchzusetzen, sondern darin, das Machbare mit Würde zu wählen.

Der Turm wächst nun langsamer, präziser, beinahe leise. Jeder Meter ist das Ergebnis von Verzicht, Berechnung und Geduld. Vielleicht ist genau das seine eigentliche Botschaft: dass Fortschritt nicht immer im Maximum liegt, sondern im Maß. Eines Tages wird man von oben auf das Rote Meer blicken und nicht nur eine Stadt sehen, sondern eine Entscheidung. Für Ambition ohne Illusion. Für Vision ohne Eile. Für Architektur, die nicht den Himmel erobern will – sondern ihm respektvoll begegnet.

Und vielleicht ist das die eleganteste Form von Höhe, die ein Gebäude erreichen kann #

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