Foto: Diriya Entwicklungsgesellschaft, Ain Shams University
Es ist früher Morgen in Diriyah, doch die Lehmziegel glühen schon im ersten Licht wie frisch gezündete Kohlen. Der Wind fegt feinen Sand in die engen Gassen, vorbei an Portalen, deren geometrische Muster so präzise wirken, als hätten sie sich selbst in die Wände geschrieben. Hier, am Geburtsort des saudischen Staates, beginnt die Geschichte eines architektonischen Konzepts, das heute die urbane Zukunft des Landes prägt, in der Welt aber bisher kaum beachtet wird: der „Salmani Code“.
Saudi-Arabien befindet sich mitten in einem der dynamischsten Transformationsprozesse weltweit. Doch wo hohe Geschwindigkeit herrscht, droht kulturelle Erosion. Jahrzehntelang wuchs Riyadh schnell, sprunghaft, funktional. Vieles davon wirkte bald austauschbar. Wie alle anderen Megastädte weltweit entwickelte sich Riyadh zu einer „Drive-Through-Metropole“. Aber, während Kräne in Riyadh den Himmel durchpflügen und futuristische Stadtvisionen verknüpft mit dem Namen des Thronfolgers Prinz Mohammed bin Salman Schlagzeilen machen, gibt es auch noch Saudi-Arabiens jüngste Baukultur. Eine, die sich total konträr zu den modernen Spiegelwänden an eigenen Wurzels orientiert. Der „Salmani Code“ ist ein Framework, das die Vergangenheit mit der Zukunft verschmelzen will, um etwas Neues zu formen – “It’s not retro, it’s relevance.”
Gerade jetzt, mitten im größten Modernisierungsschub des Landes, wächst das Bedürfnis der Saudis nach Eigenständigkeit. Dazu passt das ultra-zeitgemäße Design-Leitbild, das ausgerechnet von einem der ältesten Einwohner des Landes ausgeht – vom gegenwärtigen König Salman ibn Abdulaziz al Saud, der gerade sein 90. Lebensjahr vollendet.


Dessen Visionen in Beige, Ornamentik und Lehm erscheinen wie eine Rückbesinnung, im Gegensatz zu jenen seines Sohnes Mohammed bin Salman mit den hohen, verspiegelten Mega-Fassaden und Avantgarde-Designs. Statt globaler Copy-Paste-Skylines sollen in Saudi-Arabien Stadtbilder entstehen, die modern und zugleich kulturell verankert sind. Der Salman Code betont die Bedeutung von Walkability und von Nachbarschaftsräumen, schafft Zugänglichkeit und sucht effizienten Klimakomfort. Das Ergebnis der Rückbesinnung: Straßen, die nicht nur Verkehrskorridore sind, sondern soziale Räume. Plätze, die nicht in der Mittagshitze braten, sondern durch Verschattung lebendig bleiben. Gebäude, die nicht protzen, sondern einladen. Diese Ideen sind beides: zugleich uralt und ultra-Up-to-date.
Wo Saudi-Arabiens Zukunft im Schatten seiner alten Mauern beginnt
Vielleicht ist der Salman Code ein wunderbares Beispiel dafür, wie die jahrzehntelange Erfahrung eines alten Menschen in Verbindung mit modernen Impulsen etwas ganz Zeitgemäßes schaffen kann?
In den Gassen von At-Turaif, dem UNESCO-Weltkulturerbe, aber auch in jedem kleinen, von der Zeit vergessenen saudischen Dörfchen wie etwa #Saudimag Ushaiqer, sieht man diese Prinzipien noch immer unverfälscht. Es sind dicke Lehmmauern, die die Mittagshitze abhalten; schmale Fenster, die Licht lenken wie Wasser in Oasenkanälen; Innenhöfe, die wie kühle Lungen funktionieren. Der Salmani Code versucht nicht, diese Vergangenheit einzufrieren. Er versucht, sie zu verstehen – und daraus neue Formen wachsen zu lassen.
Das Ganze ist ein persönliches Anliegen des gegenwärtigen Königs, der sein langes Leben der Region Riyadh gewidmet hat, die weitaus meisten Jahrzehnte als Planer im Hintergrund. König Salman möchte sicherstellen, dass möglichst viele neue Gebäude in Riyadh und darüber hinaus einen unverwechselbaren lokalen Charakter tragen. Gebäude sollen aussehen, als gehörten sie hierher – zur Najd-Region, ihrer Geschichte, ihrem Klima, ihrer sozialen Kultur und ihrem Materialverständnis. Gleichzeitig sollen sie jetzt funktionieren, energieeffizient sein und mit Hightech dort unterstützen, wo traditionelle Techniken an ihre Grenzen kommen.

Der Code definiert sechs Prinzipien für die Architektur: Authentizität, Harmonie, Menschlichkeit, Modernität, Nachhaltigkeit und Innovation. Klingt das nach einem Architektur-Seminar? Vielleicht. Doch diese Begriffe werden sofort lebendig, sobald man sie vor Ort betrachtet, etwa im großen Modernisierungs-Projekt der saudischen Hauptstadt, dem Diriyah-Gate-Projekt.
Architektur spiegelt das Klima, das Klima formt die Kultur
Wer hier in der aufgehübschten Altstadt von Diriyah #SaudiMag steht, der spürt die Schichten der Zeit fast körperlich: das Gewicht der Geschichte, die Hitze der Wüste, den leisen, aber unüberhörbaren Drang nach Erneuerung mit den frisch getünchten Lehnwänden. In der Ferne bricht noch immer ein M^uezzin durch das Summen des Windes, während ein Schwarm Tauben sich in großen Bögen über die ockerfarbenen Ruinen von Diriyah schraubt. Spaziergänger sehen die modernisierte Elemente und Zitate der traditionellen Najdi-Architektur mit tief eingeschnittene Fenster und vertikalen Schattenlinien, die wie wandernde Tattoos über die Fassade laufen. Die schmalen Gassen, die Hitzewellen brechen und Mauern aus Naturmaterialien, die wirken, als würden sie atmen. Der Salmani Code spielt bewusst mit diesen lokalen Prinzipien. Gebäudemassen werden gestaffelt, Innenhöfe strukturiert, Fassaden ornamentiert – aber alles in einer reduzierten, zeitgenössischen Sprache. Es entsteht eine ästhetische Spannung, die heute Investoren, Urbanisten und Touristen gleichermaßen anzieht –traditionelles Design schafft herausragende Insta-Spots.
Auf den schnellen Blick wirkt das alles zu gewollt, zu poliert. Wer ohne Hintergrundwissen durch die neuen Straßen von Diriyah geht, fühlt sich schnell wie in einer Filmkulisse. Denn moderne Restaurants liegen in Gebäuden, die aussehen, als hätten sie Jahrhunderte hinter sich – bis man das präzise Lichtdesign oder die versteckten Solarsysteme bemerkt. Tatsächlich ist es viel mehr. Denn hier gewinnt mal die Vergangenheit, mal die Zukunft – aber nie allein. Das ist der Grund, warum Besucher in Diriyah oft sagen, die Stadt fühle sich alt und neu zugleich an. Sie wissen ja nichts vom dahinter stehenden Konzept des Salman Code (ja, #SaudiMag Leser wissen eben mehr), und darüber, das das alles ein Versuch ist, die Seele eines Ortes sichtbar zu machen, selbst wenn dieser Ort gerade neu entsteht.
Die Architektur des Salman Code bezeugt das Gefühl eines Königreichs, das durch seine eigenen Mauern hindurch in die Zukunft blickt — und erkennt, dass beides zusammengehört. Vielleicht ist es diese visuelle Mehrstimmigkeit, die König Salmans Idee so besonders macht #
