Fotos: Neom, Redaktion
Neom, das ist ein Kunstwort, klingt irgendwie nach „neu“ und so soll es auch sein. Es ist der Name einer entlegenen Entwicklungsregion in der Provinz Tabuk, die vom Golf von Aqaba und dem Roten Meer, an der Grenze Jordaniens entlang bis ins Landesinnere zur namengebenden Provinzhauptstadt reicht. Neom umfasst eine stattliche Fläche von 26.500 Quadratkilometer, das ist etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern. Die dünn besiedelte, in weiten Teilen unwirtliche Landschaft besteht aus einer Sandwüste an der Küste, die in eine Geröllsteppe und eine eindrucksvolle Gebirgskette übergeht. Die Berge erreichen eine Höhe von rund 2.500 Meter, im Winter gibt es regelmäßig etwas dünnen Schnee, was die Saudis ebenso regelmäßig zu zahlreichen Instagram-Fotos und begeisterte Videos ermutigt. Zahlreiche Schluchten und Wadis durchziehen die Ausläufer des Massivs.
Die halb vergessene, karge Region in der nordwestlichen Ecke Saudi-Arabiens wurde vor einigen Jahren als ideale Leinwand für die gestalterischen Visionen auf dem Weg in die Zukunft des Königreichs entdeckt. Auf persönliche Initiative von Premierminister und Kronprinz Mohammed bin Salman – dem faktischen Herrscher Saudi-Arabiens – wurde vor ein paar Jahren ein umfangreiches regionales Entwicklungsprogramm für die Region aufgelegt. Das Programm wird mit 500 Milliarden US-Dollar und damit zum größten Teil vom Public Investment Fund (PIF) finanziert, der im Auftrag der saudi-arabischen Regierung Gelder anlegt, als Sondervermögen aber staatsfern agiert. Der PIF ist Teil des saudischen Plans Vision 2030, mit dem die Wirtschaft des Landes diversifiziert werden soll, um die Abhängigkeit vom Öl zu verringern. Neom Webseite.
Dass hier etwas im Gange ist, das ist mittlerweile unübersehbar in der Region. Auf der gut ausgebauten, vierspurigen Küstenstraße passiert man endlose Schlangen von Baustellen-LKW, viele noch mit den Werbebeschriftungen ihrer europäischen Vorbesitzer. Es scheint, dass der Markt für den Import gebrauchter Kipper aus Europa, insbesondere aus Deutschland, ein boomender ist. Denn alles, was momentan Erde bewegen kann, das ist hier im Einsatz, wird hier dringend gebraucht.
In der Region Neom befinden sich momentan verschiedene Großprojekte in der Umsetzung. Obwohl Neom oft (und falsch) als „Smart City“ bezeichnet wird, ist es der Name der ganzen Region, in der verschiedene Einzel-Entwicklungen geplant sind; dazu gleich mehr. Kurz nach der Vorstellung visionärer Skizzen und Computer-Animationen um das Jahr 2021 herum wurden logistische Vorbereitungen gestartet; mittlerweile sind grundlegende Bauarbeiten wie Ausschachtungen für den Fundamentbau oder die Egalisierung von Baugrund in vollen Gange. Womit wir wieder bei den vielen Lastwagen auf der Schnellstraße sind.
In Neom laufen die Einzelprojekte „The Line“ als innovatives Städtebauprojekt, für den Logistikhafen „Oxagon“, die Winter- und Bergsportregion „Trojena“ sowie für den Wasser-Tourismusort „Sindalah“ im Roten Meer. Überall sind die Bauarbeiten in ihren gigantischen Ausmaßen unübersehbar.
Wir sehen The Line als eine einzigartige Gelegenheit, einen neuen Maßstab für die Kombination von Wohlstand, Lebensqualität und Umweltschutz zu setzen
Tarek Qaddumi, Planungsdirektor bei Neom
Eine Hauptstadt wird es in Neom geben, in der sich der Großteil des privaten und wirtschaftlichen Lebens abspielen soll: „The Line“. Das ist eine 170 Kilometer lange, lineare Planstadt, in der in einigen Jahren bis zu neun Millionen Menschen leben sollen. Sie erstreckt sich von Osten nach Westen durch die ganze Region Neom hindurch, von der Küste des Roten Meeres durch Berge und Geröllwüste bis in die Nähe der heutigen Provinzhauptstadt Tabuk. THE LINE WEBSEITE
Gebildet wird die Stadt durch zwei parallele Gebäuderiegel im Abstand von 200 Meter. Die Gebäude werden mit verspiegelten Fassaden verkleidet sein und sollen dadurch optisch mit der Umgebung verschmelzen. Die Höhe der Gebäude wird mit 500 Meter angegeben, was auf dem Niveau eindrucksvoller Wolkenkrazer liegt. Das Entspricht der Höhe des Taipei 101 , dem momentan zehnthöchsten Gebäude der Welt. Zum Vergleich: Der Eifelturm erreicht 300 Meter. Die Höhenangabe bezieht sich auf den höchsten Punkt der obersten Ebene eines Gebäuderiegels. Da The Line die Landschaft durchschneidet und dabei ihr Höhenniveau beibehält, werden die Gebäude in großen Teilen der linearen Stadt niedriger sein. Mit einer Gesamtfläche von nur 34 Quadratkilometer bietet das Konzept von The Line ein unfassbar effiziente Flächennutzung pro Einwohner. Zur Zeit laufen umfangreiche Ausschachtungs- und Aufschüttungensarbeiten zur Angleichung des Bodenniveaus von der Küste ins Landesinnere hinein, das berichtet die offizielle Pressestelle.
Oxagon ist eine achteckige Hafenanlage. Achteckig, weil dies eine effiziente Ausnutzung der Kaifläche ermöglicht. Sie liegt am Roten Meer im äußersten Süden der Region Neom und umfasst floating Kais und einen Anteil auf dem Festland. Das Hafen- und Logistikzentrum wird das größte schwimmende Bauwerk der Welt sein. Zur Zeit finden Bodenplanierungen auf dem Festland statt, um dieses Areal als Logistikzenttrum für den schwimmenden Hafenteil nutzbar zu machen. Oxagon Webseite
Trojena #saudimag ist ein Bergsport-Ressort in der Gebirgskette, deren Ausläufer von The Line durchschnitten werden. Doch dort, wo Trojena entsteht, reichen die Berge bis auf 2.500 Meter hinauf. Das 60 Quadratkilometer große Ski- und Outdoor-Aktivitätszentrum wird im Winter das Skifahren ermöglichen und bietet im Sommer Wassersport auf einem künstlichen Bergsee sowie Wellness- und Bergwandertouren. 2029 werden die Asiatischen Winterspiele in Trojena stattfinden. Den Gegensatz dazu bietet das Insel-Resort Sindalah im Roten Meer, nur eine Stunde mit dem Auto entfernt. Auf der 84 Quadratkilometer großen Insel, die sich an Segler richtet, wird ein Yachthafen mit 86 Liegeplätzen und zahlreiche Hotels entstehen. Nah bei den beiden Touristenorten sind Wohn- und Arbeitscompounds entstanden, am Bau von Trojena sind 20.000 Mitarbeiter beteiligt. Straßen, Plätze und sogar erste Gebäude sind in den zukünftigen Touristendörfern bereits bezugsfertig. Saisonstart für Sindalah ist für 2024 angekündigt, und es sieht danach aus, dass dieser Termin gehalten wird.
Die Geheimhaltung im Bezug auf Neom ist rührend, antiquiert und erinnert etwas an das Raketenprogramm der Sowjetunion in den 60er Jahren. Aus Scham, etwas könne nicht nach Plan funktionieren, zog es die Sowjetregierung damals vor, jeder Schritt des Programms geheim zu halten und nur dann großformatig zu berichten, wenn eine Raketenstart erfolgreich war. Ganz ähnlich ist es bei Neom. Selbst die für vermutlich viel Geld engagierten Kommunikations-Strategen von der Agentur Teneo hüllen sich in Schweigen. Eine Interview-Anfrage von #SaudiMag ist seit mittlerweile 6 Monaten in Bearbeitung bei den zuständigen Spezialisten. Ist das Sprachlosigkeit getreu dem Motto „wer nichts macht, macht nichts falsch“? Aber vielleicht hat man bei Teneo auch einfach zu viel damit zu tun, seitenlange Beratungsrechnungen zu texten.
Auch, wenn die Bauarbeiten begonnen haben und alles einem Plan zu folgen scheint – nur eine Handvoll Architekturbüros sind bisher offiziell als Planer des Neom-Projekts bekannt gegeben worden. Darunter die US-Studios Aecom und Aedas, das britische Studio Zaha Hadid Architects, die niederländischen Büros UNStudio und Mecanoo, das deutsche Studio LAVA und das australische Studio Bureau Proberts. Das italienische Superyacht- und Architekturstudio Luca Dini Design and Architecture verantwortet das Sindalah-Resort.
Der Zeitplan für Neom ist ehrgeizig: Ein Großteil des Projekts inklusive eines ersten Bauabschnitts von The Line für rund 1 Million Einwohner soll bis 2030 fertig gestellt sein. Den Start macht der Touristenort Sindalah wie erwähnt 2024, gefolgt von der Hafenanlage Oxagon. Die Eröffnung des Skigebiets Trojena ist zur Wintersaison Jahr 2026/27 geplant #
Update aus der Redaktion. Wir schreiben in diesen Artikel (vom Januar 2023), daß der Saisonstart für Sindalah für 2024 angekündigt sei „und es sieht danach aus, dass dieser Termin gehalten wird.“ Das ist nach heutigem Stand (August 2024) nicht mehr richtig; es sieht vielmehr danach aus, dass sich der Termin um 1 bis 2 Jahre verschiebt.
Viel mehr gibt es: https://saudimag.de/archive/9633