Foto: Saudia, Lilium N.V.
Das in München ansässige Unternehmen Lilium, eigenen Angaben zufolge Pionier bei der Entwicklung vollelektrischer, senkrecht startender Flugtaxis, kommt in diesen Tagen mit einer neuen Meldung: Das Unternehmen prüfe jetzt die Möglichkeit, seine innovativen „Elektrojets“ in Saudi-Arabien zu produzieren.
Das ist eine Nachricht, die CEO Klaus Roewe sehr freuen wird. Ist doch die Chefetage von Lilium etwas pikiert darüber, daß weder die EU, noch Frankreich oder Deutschland einige Millionen, am liebsten Milliarden Euro Steuergeld in das waghalsige Unternehmen versenken wollen… ‚dann gehen wir halt zu den Saudis‘, das meint man aus den aktuellen Gerüchten herauszuhören.
Saudisches Geld wäre mehr als willkommen; seit 2021 ist Lilium an der Börse notiert, und seitdem ist der Kurs im freien Fall. Um 1 Euro ist das Papier wert – regelmäßig abgefedert durch Hoffnungen, die Meldungen wie das aktuelle Saudi-Geschäft vor allem unter Kleinanlegern wecken. #SaudiMag hat über die wackelige Lilium-Vision und die Verbindungen nach Saudi-Arabien schon einmal detailliert berichtet #Saudimag . Grund genug, daß wir auch die aktuelle News einmal einordnen.
Animation eines Lilium-Elektrojet im aktuellen Werbevideo von Saudia
Die Vorgeschichte:
Seit 2015 werkelt Lilium an seiner Vision einer Elektro-Flugmaschine, die auf einer exzentrischen Technologie basiert. So soll der „Elektrojet“ von einer großen Zahl (30 bis 36; die Angaben des Herstellers schwanken) kompakter, verstellbarer Elektromotoren angetrieben werden, die den kleinen Tragflügeln des Geräts genug Auftrieb geben sollen. Kernidee des Konzepts ist ein Senkrechtstart mit anschließendem, horizontalen Reiseflug. Sechs Passagiere sollen im Fluggerät Platz finden. Bisher haben die Visionen von Lilium und über 1 Milliarde Euro an eingesammelter Finanzierung allerdings wenig konkrete Technologie zutage gefördert – nach rund zehn Jahren Entwicklungsarbeit liegen ein Paar im Maßstab verkleinerte, aber immerhin per Fernsteuerung flugfähige Modelle vor.
Luftfahrtexperten sehen in der Bauweise des Liliumjets, ursprünglich eine Studentenidee, immanente und gravierende Sicherheitsdefizite, da die Übergangsphase vom Senkrechtstart zum horizontalen Reiseflug äußerst fragil und instabil sei, und bei einem Antriebsverlust kein Gleitflug möglich wäre. Zudem ist bisher der rechnerische Nachweis nicht ansatzweise gelungen, daß der visionäre Antrieb die benötigte Kraft für das Gesamtgewicht von Zelle plus Ladung aufbringen könnte. Neben seinen verkleinerten Flugmodellen hat Lilium zur Förderung des Marketing ein Kabinenmuster in tatsächlicher Größe bauen lassen, das eine denkbare Innenausstattung mit feinen Lederpolstern zeigt. Damit bereist Lilium die weltweiten Messen und klebt dafür pressewirksam das Logo einer passenden Fluggesellschaft auf den Muster-Jet. Das traditionsreiche Wochenmagazin DER SPIEGEL aus Deutschland ist im Moment das größte Medium, das den rosaroten PR-Köder von Lilium und Saudia geschluckt, und bereits groß berichtet hat – ebenso die ehrenwerte SZ. Deren Münchener Redaktion, vielleicht liegts am Lokalpatriotismus, spricht sogar von 700 Millionen Auftragsvolumen. Das ist mehr, als Lilium in seiner ersten Meldung selbst genannt hat.
Umtriebig sind die Münchener Konstrukteure bei der Produktion von Animationen und Werbespots, mit denen immer wieder Geldgeber gefunden werden, die sich von den blumigen Visionen der Münchener begeistern lassen. Dabei legt Lilium selbst nicht jedes Wort auf die Goldwaage…so wurde Anfang 2023 ein bemannter Erstflug für 2024 beworben – obwohl da schon absehbar war, daß nur ein verkleinertes RC-Modell vorliegen würde. Der entsprechende Erstflug wurde danach auf 2026 verschoben, dann wieder auf 2025 vorgezogen. Die Europäische Behörde hat dem Unternehmen allerdings erst Ende 2023 die Genehmigung erteilt, das es überhaupt Flugzeugentwicklung betreiben darf („DOA“ Design Organization Approval).
Bevor ein ernsthafter Prototyp mit Besatzung zu einem Erprobungsflug starten darf, sind hohe Hürden zu nehmen – was Lilium im publizierten Zeitfenster kaum gelingen wird. Denn das pikanteste Detail, an dem aber alle Zukunftspläne hängen, konnte Lilium bisher unter dem Radar halten. So wurde der geheime, höchst innovative Antrieb des „Liliumjet“ (der die außergewöhnlichen Leistungsdaten der Maschine überhaupt erst möglich macht), bis heute weder tatsächlich gebaut, noch hat man das Konzept jemals testen können. Eben das ist aber ganz wesentlich dafür, daß die luftfahrttechnische Bewertung eines neuen Musters angestoßen werden kann. Alle vorliegenden Lilium-Kleinmodelle fliegen mit einem vereinfachten Antriebsdesign, und das ist wertlos für das Zulassungsverfahren eines Flugzeugs. Man könnte sagen, Kenner werden es schon ahnen, das das Antriebskonzept des Liliumjet im August 2024 den Realitätsstatus eines Fluxkompensators hat.
Stupid Saudi Money?
Zurück nach Saudi-Arabien und zur aktuellen Pressemeldung von Lilium. Diesmal vermeldet das Unternehmen, dass der saudi-arabische Flagcarrier Saudia mit Lilium nicht nur einen Kaufvertrag über 50 Elektrojets und 50 Kaufoptionen (als Stückpreis werden mal 4, mal 10, mal 7 Millionen Euro vermeldet) abgeschlossen habe, sondern daß im Wüstenstaat sogar Lilium-Fluggeräte produziert werden sollen. Bis zur Errichtung einer vollwertigen Fabrik sollen einstweilen Komponenten und Ersatzteile in Saudi-Arabien hergestellt werden. CEO Klaus Roewe weist auch darauf hin, dass die weltweite Nachfrage bis 2035 voraussichtlich 40.000 Jets erreichen werde, und daß aufgrund der Einzigartigkeit des Liliumjets sein Unternehmen mit Sicherheit einen bedeutenden Anteil an dieser Nachfrage haben würde.
Diese innovativen Flugzeuge werden ein Gamechanger für Tourismus und Sportereignisse, denn sie bieten ein außergewöhnliches Erlebnis für besondere Ziele
Ibrahim Al-Omar, Direktionsmitglied von Saudia Airlines
Mit Blick auf die geringe Substanz der langen Liste vergangener Pressemeldungen von Lilium muß man die neue Meldung kritisch sehen. Daß Lilium hier in aller Öffentlichkeit schon von der Lösung eines Ersatzteilbedarfs spricht – obwohl im August 2024 nicht einmal ein einziger Prototyp vom Antriebskonzept des Fluggerätes vorliegt – das macht fast sprachlos. Ist das dreist, visionäre Verblendung oder grober Vorsatz um sich die Taschen zu füllen…oder glaubt die Lilium-Chefetage wirklich an die eigenen Luftschlösser?
Bleibt man nämlich auf dem Boden der Tatsachen, so bleibt von einem Multi-Millionengeschäft nur heiße Luft übrig. Fakt ist: Es gibt heuer kein Produkt, das Lilium verkaufen könnte. Und es wird auch bis zum Ende des Jahrzehnts keines geben – betrachtet man die Laufzeit der notwendigen Zulassungsverfahren im Luftverkehr realistisch. Ohne Produkt gibt es auch keine Verlaufserlöse, nur Entwicklungszuschüsse. Es ist sogar äußerst unwahrscheinlich, daß Lilium in den kommenden zehn Jahren ein marktreifes d.h. im Linienverkehr einsetzbares Produkt haben wird – falls die Zulassungsbehörden dem wackeligen Flugkonzept des Liliumjets denn jemals eine Betriebserlaubnis erteilen sollten.
Aktuell (2024) hat Lilium nach fast zehn Jahren Entwicklungszeit und über 1 Milliarde Euro Entwicklungsfinanzierung ausschließlich Computeranimationen und Kabinenmuster zur Einwerbung von Geld (oben) und ein im Maßstab verkleinertes, ferngesteuertes Flugmodell (unten) produziert
Worum geht es also bei dem aktuellen Deal zwischen Lilium und Saudia?
Am Ende ist es eine zweiseitige Absichtserklärung und eine medienwirksame Meldung, die Saudia erst einmal kein Geld kostet und beiden Partnern harmlose Medienaufmerksamkeit bringt. So würzt die Fluglinie Saudia Airlines ihre neuesten Werbeauftritte mit der Animation eines für den unkundigen Zuschauer futuristisch-modern erscheinenden Liliumjets in hübscher Saudia-Lackierung. Und Lilium kann mit der Meldung seinen Aktienkurs stützen und neue Geldgeber werben – in Kreisen, wo man nicht so genau hinschaut und wo man sich schnell begeistern lässt. In der Welt der Luftfahrt hat Lilium seinen anfangs durchaus beachtlichen Status als visionärer Erneuerer längst verloren. Ob sich Saudia einen Gefallen damit tut, ihre traditionsreiche und gerade modernisierte Marke mit Lilium in Verbindung zu bringen, wird sich zeigen – es ist aber durchaus riskant #
Uff das klingt nich gut