Fotos: Neom-Entwicklungsgesellschaft
Selbst im Sommer kursiert immer mal wieder dieses Thema durch die Onlinepresse: Wintersport in Saudi-Arabien! Denn für alle „Clickbait“-Redakteure zwischen Wien und Hamburg sind 30 Grad Hitze vor der Tür der ideale Moment, um Lesern zu verkaufen, dass Wintersport in Saudi-Arabien vollkommener Irrsinn sein muss. Gern überschlagen sich die Spekulationen – von Skifahren in der Wüste ist zu lesen. Von Kamelen und von Skiläufern, die bei sommerlichen Temperaturen über die Pisten flitzen. Wie zahlreiche Kommentare in Socialmedia zeigen, scheint die Strategie aufzugehen: Der Europäer an sich, der hat einen Beweis mehr für irrsinnige Geldverschwendung auf der Arabischen Halbinsel.
Wir bei #SaudiMag kommen uns manchmal wie ein Spielverderber vor. Oder wie der nerdige Klassenkamerad, der die Witze der Cool Kids nicht versteht und mit langweiligen Fakten darauf antwortet. Tja. Es ist schon wieder soweit:
Fakt ist, dass das unter dem Namen „Trojena“ schon seit 2019 an einem neuen Reiseziel unweit der geplanten Stadt „The Line“ gebaut wird – in einer bis zu 2.600 Meter hohen Gebirgsformation und nur eine Autostunde vom Roten Meer entfernt. Fakt ist auch: In den Wintermonaten (und nicht im Frühling, Sommer und im Herbst) wird Skifahren im Freien ein Hauptmerkmal von Trojena sein. Das ist tatsächlich ein außergewöhnliches Erlebnis, das es in der Region, insbesondere in den für ihr Wüstenklima bekannten Golfstaaten, noch nie gegeben hat. Amateure und Profis werden im Winter eine ansprechende Piste unweit des Roten Meeres erfahren können, in einer für den Skitourismus nicht unüblichen Preparation aus Natur- und Kunstschnee. Ja, Naturschnee ist auch mit dabei!
Tatsächlich ist Schneefall ist in der Gebirgsregion um Trojena keine Ausnahme, sondern die Regel. Allerdings erreicht die Scheehöhe dort nicht so viele Zentimeter, wie man das aus den klassischen Wintersport-Orten etwa in den Alpen kennt. Dafür reicht die Luftfeuchtigkeit in Trojena einfach nicht aus:
Die Saudis verlassen sich bei der Gestaltung, Herrichtung und Beschneiung der Pisten deshalb auf die Expertise europäischer Fachleute. Man will von der Erfahrung vor allem der Österreicher lernen, die in ihren Skigebieten in den Alpen seit geraumer Zeit mit einer Kombination aus natürlichem Schneefall, Beschneiungsmaschinen und sogar Kunststoffmatten arbeiten. Ohne Schneekanonen ist Ski-Tourismus in Europa schon heute nicht mehr denkbar, trotz der damit verbundenen, berechtigten Diskussionen bezüglich Energieverbrauch und Kosten. Die Kosten einer Beschneiung selbst sind in Trojena – schaut man auf die Kosten des Gesamtprojekts – mit rund 1 Euro pro Pistenmeter nicht das große Thema. Wohl aber die Umweltbilanz des Kunstschnees. Auch hier haben die Saudis von den Europäern gelernt. Und gehen gleich einen Schritt weiter, und setzen auf die skifreie Ganzjahres-Erholung. Denn eine ausgeschaltete Schneekanone verbraucht keine Energie.
So, wie es die ersten Skidörfer in Europa bereits vormachen, ist auch Trojena als Ganzjahresdestination angelegt. Es wird ein typisches Berg- und Skidorf, luxuriöse Familien- und Wellness-Resorts, einen Süßwassersee, ein breites Angebot an Einzelhandelsgeschäften sowie sportliche Aktivitäten wie Skipiste, Wassersport und Mountainbiking umfassen. Der große See dient übrigens nicht allein dem Wassersport. Wie Kenner der Materie schon ahnen: Es ist zugleich ein Speichersee, der in den Wintermonaten für Luftfeuchtigkeit sorgt und aus dem heraus die Kunstschneeanlagen versorgt werden. Was die Redakteure der zahlreichen Onlinemedien in ihren ebenso zahlreichen Kurzmeldungen zu Trojena verschweigen, nicht wissen oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen: In den Bergen werden nicht Multimillionen verbaut, ohne dass dem ersten Spatenstich umfangreiche Konzepte und Planungen voraus gegangen wären:
Trojena besteht aus sechs Bezirken: Gateway, Discover, Valley, Explore, Relax und Fun – die alle darauf ausgelegt sind, Aktivitäten für unterschiedliche Geschmäcker, unterschiedliche Sportarten, Jahreszeiten und Bedürfnisse anzubieten. Trojena fügt sich mit rund 70 Einzelbau-Projekten als ein Baustein in das große Konzept der Entwicklungsregion NEOM ein, welches sich selbst aus schätzungsweise 1.000 Baumaßnahmen zusammensetzt (je nachdem, ab wann man ein Bauprojekt als Einzelmaßname zählen will). Was bedeutet das? Zum einen, dass das Gesamtkonzept so umfangreich ist, das die Betrachtung eines einzelnen Projektes daraus nicht zielführend ist. Denn alle Maßnahmen sind miteinander vernetzt, und diese Vernetzung kann der Normalbürger erst erfassen, wenn denn alles mehr und mehr fertig wird. Das liegt in der Natur vernetzter Maßnahmen – der Sinn des Ganzen zeigt sich nicht im Detail.
Dies vorausgeschickt, kann man sich die Frage selbst erklären, wo denn die Touristen herkommen sollen, die unbedingt in ein recht abgelegenes Berg-Ressort reisen wollen:
Sie kommen zu einem großen Anteil aus NEOM selbst, dann aus Saudi-Arabien, dann aus der arabischen Welt. Westliche Touristen, die extra zum Urlaub nach Trojena anreisen, bilden in den Planungen einen Anteil auf molekularer Ebene; dazu gleich mehr. So leben in der Region NEOM schon heute (2024) rund 150.000 lokale und internationale Fachkräfte, um 2030 wird es wohl eine halbe Million sein. Das ist eine Zielgruppe, deren berufliches und privates Leben sich zwischen der staubigen Einöde des Flachlands und den verspiegelten, klimatisierten Fassaden der dann in der ersten Ausbaustufe fertiggestellten Hauptstadt „The Line“ abspielt. Diese Menschen werden das Angebot eines sportlichen Kurzurlaubs in frischer Bergluft gern annehmen. Sie sind finanzkräftig und aktiv – und schon berufsbedingt neuen Konzepten aufgeschlossen (ohne einen offenen Geist mit großem Gestaltungswillen wird kaum jemand in NEOM leben und arbeiten wollen, das kann man voraussetzen). Hinzu kommen die heimischen Touristen aus dem Königreich selbst und sehr wahrscheinlich auch viele Besucher aus den wohlhabenden arabischen Staaten im +/- 3-Stunden-Flugradius.
Wir haben die Chance, Trojena mit neuer Infrastruktur auszustatten – es zu bauen, zu entwickeln und von Anfang an einen Ort zu schaffen, an dem die Menschen gerne leben, arbeiten und spielen
Philip Gullett, CEO des Trojena-Projekts
Dass typische westliche Touristen keine ernsthafte Kernzielgruppe ist, liegt auf der Hand, lässt sich diese doch kaum mit einem effizienten Kosten-Nutzen-Verhältnis gewinnen. Ganz abgesehen vom zu erwartenden Nörgelfaktor und der typisch westlichen Besserwisserei, die schon lange niemand in der arabischen Welt mehr hören will. Längst schon hat sich in mehreren arabischen Staaten ein neues Selbstbewußtsein entwickelt, das die eigene Tradition und die eigenen Werte herausstellt, anstatt dass man „westlich“ sein will.
Die Bauarbeiten mit rund 50.000 Mitarbeitern von mehr als 200 beteiligten Firmen laufen seit vier Jahren auf vollen Touren; in Trojena sollen in anderthalb Jahren die ersten Attraktionen eröffnet werden, also zur Wintersaison 2025. Bei allen Bauarbeiten werden die strengen Umweltgrundsätze von Neom eingehalten, zu denen auch die Verpflichtung gehört, die Beeinträchtigung der lokalen Ökologie zu minimieren und eine langfristige Nachhaltigkeit zu gewährleisten – womit wir wieder beim Kunstschnee sind und einer möglichst kurzen Ski-Saison.
Bis 2030 möchte man dann 700.000 Besucher und 5.000 ständige Einwohner anziehen. Trojena ist kein Spassprojekt – neben der außergewöhnlichen logistischen Herausforderung, die Baumaßnahmen im Gebirge immer darstellen, ist das wichtigste Ziel das Wirtschaftswachstum und die Schaffung einer Einkommens-Diversifizierung in Saudi-Arabien. Steigende Einnahmen aus dem Tourismus sollen sinkende Einnahmen aus dem Ölgeschäft mittelfristig kompensieren. Bis 2030 sollen in und durch Trojena mehr als 10.000 Arbeitsplätze geschaffen, und das BIP des Königreichs um knapp eine Milliarde Dollar gesteigert werden. Seinen ersten großen Auftritt auf der Weltkarte des Skisports wird Trojena übrigens 2029 haben…als Austragungsort der Asiatischen Winterspiele #