Verschlossen trotz Öffnung

Warum Saudi-Arabien nicht das neue Dubai ist
In Riyadh gibt es noch viel Platz für neue Hochhäuser, die irgendwann in der Zukunft die Stadtsilhouette prägen könnten
In Riyadh gibt es noch viel Platz für neue Hochhäuser, die irgendwann in der Zukunft die Stadtsilhouette prägen könnten

Foto: Redaktion

Im Nahen Osten hört man oft, daß Saudi-Arabien das neue Dubai sei. Oder, kurz- bis mittelfristig dazu werden könne. Diese Idee multiplizieren vor allem diejenigen, die mit Hoffnungen ihr Geld verdienen: Unternehmens- und Gründungsberater. Wir fragen uns: Kann da etwas dran sein…und was bedeutet das überhaupt?

Tatsächlich spielt die staatliche Werbetrommel Saudi-Arabiens seit einigen Jahren einen ausdauernden, gleichbleibenden Rythmus. Es klingt nach Aufbruch, Innovation, Veränderung, großen Ideen. Wirtschafts- und Unternehmensberater steigen in den Beat ein und trommeln kräftig mit, wollen sie doch das Lied verkünden einer schönen neuen Welt, in der unternehmerische Ideen aufblühen und Reichtum für große und kleine Unternehmen zum Greifen nahe ist. Westliche Medien trommeln seit ebenso vielen Jahren einen ebenfalls gleichen Rythmus – der Takt aber ist ein vollkommen anderer. Hier geht es darum, unreflektiert Kritik zu üben an jeder Idee, jeder Vision, jeder Entscheidung, die von Saudi-Arabien aus in den Westen gelangt. Ein Orchester, in dem Saudi-Arabien mit dem Westen spielt, kommt nur selten zu einem gemeinsamen Lied.

Die Grundidee von #SaudiMag ist es, erst einmal zuzuhören, uns ein Bild machen, hinter den Rahmen zu schauen und erst dann zu berichten. Ohne, dass wir die vorgefassten Meinungen des westlichen Mainstream zum Thema Saudi-Arabien bedienen. Schauen wir also mal:

Der saudische Thronfolger und Premierminister Mohammed bin Salman (39) ist ein moderner Visionär, der das Königreich Saudi-Arabien seit ein paar Jahren in großen Schritten umgestaltet – nicht nach westlichen Maßstäben, sondern verwurzelt in der traditionellen, arabischen Tradition. Er hat es geschafft, das Land gegen den konservierenden Einfluß alter Eliten zu modernisieren, hat mit Korruption und Bereicherung aufgeräumt und den zuvor großen Einfluß radikaler Islamkreise stark eingeschränkt. Die junge Bevölkerung Saudi-Arabiens atmet auf und dankt ihm für seinen Mut, seine Kraft und Ausdauer – Mohammed Bin Salman ist ein Held im Königreich. Betrachtet man die neueste Statistik, so sind von den 32,2 Millionen Einwohnern des Staates 63 Prozent der Saudis (bzw. 42 Prozent der Gesamtbevölkerung) unter 30 Jahre alt. Das sind etwa 8,5 Millionen Menschen, während das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung bei nur 29 Jahren liegt.

Der gegenwärtige König, Salman Bin Abdulaziz Al Saud und Vater von Mohammed Bin Salman, regiert sein knapp zehn Jahren und steht in seinem 90. Lebensjahr. Ein langes Leben sei dem König geschenkt. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass der gegenwärtige Thronfolger in seinen 40ern zum neuen, jungen König wird, und er einer Regierungszeit von fast einem halben Jahrhundert entgegensehen könnte. Solch ein langer Zeitrum bietet unglaublich viel Gestaltungsfreiheit, und dessen wird sich Mohammed Bin Salman sehr bewusst sein. Er könnte der König werden, der dem Land auf immer seinen Stempel aufdrückt. Daß er schon heute eine Gefolgschaft um sich schart, und er sein junges Volk mit Brot und Spielen an sich bindet, ist eine naheliegende Strategie.

Hinter den vielen Schlagzeilen aus Saudi-Arabien steckt ein außerordentlicher Entwicklungsboom, der durch „Giga-Projekte“ vorangetrieben wird. Das Ausmaß dieser Initiativen wird dem selbsternannten Hype absolut gerecht, denn sie sind enorm in Umfang, in Ehrgeiz und Größe. Sie werden die Einzelhandelsachse auf der arabischen Halbinsel verlagern – weg von Dubai und Abu Dhabi, hin nach Saudi-Arabien. Ja, das alles sehen wir auch so. Denn momentan baut Saudi-Arabien mit all seinen Projekten unglaublichen Druck auf, der eine Sogwirkung auf die Wirtschaft hat.

Mit seinen Investitionen schafft der Staat Arbeitsplätze für junge Saudis, die dadurch zu Konsumenten werden und der Binnennachfrage einen gewaltigen Push geben. Dies ist auf die beträchtliche Zunahme der Beschäftigung saudischer Staatsangehöriger in höher qualifizierten Berufen und die Verdopplung des Frauenanteils an der Erwerbsbevölkerung, die wachsende Beliebtheit und Akzeptanz von „Buy now pay later“-Dienstleistungen sowie den Markteintritt internationaler Marken und die Expansion der Unterhaltungs- und Lifestyle-Branche zurückzuführen. Allerdings: Dieser Druck wird nicht dauerhaft sein. Wir erleben eine Startphase, in der sich vom Nullpunkt aus viel Neues entwickelt. Deshalb muss man bei allen Wachstumsraten und Statistiken bedenken: Wo es vorher nichts gab, wird ein Wachstum immer positive Zahlen erbringen. Neben dem Einzelhandel trifft das auch auf den Tourismus-Sektor zu. Bis vor fünf, sechs Jahren gab es in Saudi-Arabien ausschließlich religiösen Tourismus – wenn man Pilgerfahrten denn zum Tourismus hinzuzählen möchte. Erst dann öffnete sich das Land dem klassischen Tourismus, und seitdem steigen die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr. Kein Wunder also, dass die jährlichen Wachstumsraten des Sektors viel höher sind als bei vergleichbaren, eingeführten Destinationen woanders auf der Welt.

Lh Riyadh

Wird Saudi-Arabien einen Wettbewerb gegen Dubai als Holiday-Spot oder Layover-Destination gewinnen? Eher nein. Denn was Saudi-Arabien fehlt ist die liberale, internationale Offenheit, die Leichtigkeit, die man in den Vereinigten Arabischen Emiraten traditionell findet. Betrachten wir es realistisch: Das Königreich gibt sich in seiner Außendarstellung offen und einladend, doch das sind nun einmal Werbeslogans. Die Regierung in Riyadh mag dieses Selbstbild vorgeben, doch die Realität sieht anders aus. Tatsächlich ist weder das zuständige Tourismus-Ministerium, noch irgendeine der zahlreichen Tourismusbehörden, noch das Tourismus-Marketing selbst für irgendwelche Anfragen zu erreichen. Oft werden nicht einmal Emailadressen genannt, um jede Form der Interaktion von vornherein abzuschotten. Die heutige Gesellschaft hat es aber gelernt, zwischen holen Werbesprüchen und Realität zu differenzieren. Und hier klafft eine Lücke, die Saudi-Arabien ohne grundlegende Änderung seiner überbrachten Denkweise kaum wird schließen können.

Hinzu kommen die harten Fakten – Dubai zum Beispiel, gleich entlang der Küste gelegen, ist mit seinem leicht erreichbaren Kontrast aus dem blauen Wasser des Arabischen Golfs, dessen Bikini-Stränden und Strandbars zur wuseligen, alten Keimzelle der Stadt, dem Hafenviertel am Dubai Creek, leicht zu erschließen. Für viele Fluggäste macht das Dubai zu einer idealen Option für einen Layover, wenn sie aus Europa oder sogar Nordamerika kommend nach Fernost unterwegs sind.

Im Vergleich dazu der zukünftige Hub der neuen Airline Riyadh-Air, die eine ähnliche Klientel anvisiert: Die Wüstenstadt Riyadh – eine überhitzte und staubige, am Abend schnell dunkle und verschlafene Multimillionenstadt im Nirgendwo. Die saudische Hauptstadt bietet kaum Potential als touristisches Ziel, selbst als Layover-Destination für ein, zwei Nächte ist sie unspektakulär. Das wird auch noch in vielleicht zehn Jahren so sein, wenn viele der momentanen Entwicklungsprojekte fertiggestellt sind, die den Tourismus bedienen sollen. Denn es ist wenig reizvoll, einen Urlaub an einem Ort zu verbringen, in dem alle Attraktionen inklusive der sogenannten Altstadt eben erst aufgebaut worden sind – als touristischer Themenpark. Denn man sieht den eigentlich alten Stadtvierteln in Riyadh an, dass sie mit viel Geld für den Tourismus aufgehübscht und in weiten Teilen vollkommen neu gebaut worden sind bzw. gerade aufgebaut werden.

Lvl

In Saudi-Arabien sind Visionen und liberale Ideen vor allem die liberalen Ideen und Visionen des Königshauses. Die Bevölkerung hält sich zurück

Die zahlreichen Luxushotels, Malls und Restaurants, die ebenfalls gerade in Saudi-Arabien entstehen, sind weitgehend austauschbar. Ebenso die Milliarden teuren Bauprojekte in den Bergen oder an der Küste von NEOM. Dort entstehen gigantische Luxus-Resorts für eine überschaubare, weil sehr zahlungskräftige Klientel. Der Haken an der Sache: Diese Resorts haben alle nicht das Potential dafür, daß Besucher sie auf ihre Wiederkehr-Liste setzten. Man wird dort ein paar Tage Wellness- oder Golfurlaub machen. Aber im nächsten Jahr wiederkommen? Eher wird das die Ausnahme sein – zu abgelegen, zu übersichtlich, zu exzentrisch, vielleicht auch zu avantgardistisch sind die Destinationen in NEOM. Denn an außergewöhnlicher Architektur sieht man sich schnell satt; das Staunen reicht für den ersten Eindruck, entweicht aber schnell. Um eine Destination auf der Weltkarte zu verankern, braucht man andere Zutaten als ein einsames Neubauprojekt am Rande der Welt. Eine ganz wichtige Zutat: Echtes, quirliges Leben – anstatt Wichtigtuerei am Bau. Viel Potential bietet die alte, gewachsene Küstenstadt Jeddah, die aber als Layover-Hub nicht aufgebaut wird. Wohl auch, weil sie bereits die riesigen Pilgerströme verkraften muß, die dort eintreffen.

Im jüngsten Global Retail Development Index (GRDI) von Kearney, der im Januar veröffentlicht wurde, kletterte das Königreich Saudi-Arabien auf den dritten Platz in der Region. Eine Erhöhung der Kaufkraft zieht den Einzelhandel an, der mit neuen Investitionen antwortet. Das bringt neue Immobilienprojekte und neue Arbeitsplätze. 2022 hatte der Einzelhandel ein Volumen von rund 155 Milliarden US-Dollar; laut Globaldata soll der Sektor im Fünfjahreszeitraum 2022-2027 um mehr als 4 Prozent pro Jahr wachsen. Die zunehmende Beteiligung von Frauen an der Erwerbsbevölkerung und die jüngsten gesellschaftlichen Veränderungen unterstützen den Appetit der Verbraucher auf Luxus, so Globaldata. Globale Luxusmarken wie Gucci, Louis Vuitton und Chanel haben die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und Flagship-Stores im Königreich eröffnet, während Prada, Tiffany und Mulberry ihre Präsenz durch die Eröffnung eigener Geschäfte verstärkt haben. Einem Bericht der International Market Analysis Research and Consulting Group zufolge dürfte sich der saudische Luxusmarkt bis 2028 auf 15,8 Mrd. USD nahezu verdoppeln.

Resümee…Saudi-Arabien als das neue Dubai ? Eher nein.

Nun gut, das oben Gesagte klingt etwas nach Dubai vor 25 Jahren. Aber die Vorzeichen sind heute vollkommen anders und auch die Ausgangspositionen kann man nicht vergleichen. Deshalb sind wir vom #SaudiMag nicht davon überzeugt, dass Saudi-Arabien ein zweites, ein neues Dubai werden kann. Gemeint ist damit ja eine positive Aufbruchstimmung in einer multikulturellen Umgebung, in der Ideen und Möglichkeiten fruchtbaren Boden finden. Klar ist, dass Saudi-Arabien mit all seinen gegenwärtigen Investitionen die Achse im Nahen Osten verschiebt. Aber Dubai, in gewissem Rahmen auch Abu Dhabi, haben sich seit ihrem Aufbruch vor mittlerweile rund 50 Jahren durch eine Liberalität ausgezeichnet, die es in Saudi-Arabien bis heute nicht gibt, und wohl auch nie geben wird. Als Maßstab für einen Vergleich zwischen Dubai und Saudi-Arabien nur das Offensichtliche zu sehen – große Bauprojekte im Sand vielleicht, viel Geld das investiert und umgesetzt wird – das ist zu simpel.

Die Vereinigten Arabischen Emirate wurden von der Intelligenz und Offenheit des großen Wüstensohns Shaik Zayed aus Abu Dhabi geprägt, was sich – eine glückliche Fügung des Schicksals – eine Generation später auch in Dubai durchsetzen konnte und bis heute Bestand hat. Immer waren die Vereinigten Arabischen Emirate auf ausländische Fachkräfte angewiesen, da die eigene Bevölkerung überschaubar war und ist.

In Saudi-Arabien sind im Jahr 2024 Visionen und liberale Ideen vor allem die liberalen Ideen und Visionen des Königshauses. Die Bevölkerung hält sich zurück. Nicht etwa, weil es heute noch gefährlich wäre, die eigene Meinung zu sagen. Die Religionspolizei ist abgeschafft, auch kulturell-sozial lässt sich viel mehr unsanktioniert sagen als noch vor zehn Jahren. Aber der saudische Staat hat das Geld als neue Form eines Maulkorbs entdeckt. Auch, wenn die Statistiken den Eindruck erwecken, dass die Privatwirtschaft boomt und immer mehr Saudis in Unternehmnen statt bei der öffentlichen Hand arbeiten: Tatsächlich sind viele Privatunternehmen mehr oder weniger stark mit dem Staat verbunden. Unternehmen hängen an Fördergeldern und Subventionen der öffentlichen Hand, das Wohl der Mitarbeiter ist mit dem Wohl des Staates verbunden. Das führt zu einer Abschottung nach außen – kaum traut sich jemand, von der bekannten Linie abzuweichen. Innovative saudische Firmen, Initiativen oder saudische Persönlichkeiten werden schnell vom Staat vereinnahmt, als Multiplikatoren gewonnen, alimentiert und damit unter Kontrolle gehalten. Diese finanzielle Zensur kann man bei Talenten aus Kultur und Sport gut beobachten. Kaum sind sie entdeckt, werden sie von einem Ministrium angesprochen, für Imagefilme oder Promotion-Aktionen mit viel Geld gebucht und damit ruhiggestellt. Denn die jungen Talente werden kaum noch in eigenen Worten sprechen aus der Furcht heraus, beim Staat in Ungnade zu fallen und von zukünftigen Aufträgen abgeschnitten zu werden. Selbst-Zensur ist der große Trend im Königreich. Worin die Bevölkerung ohnehin geübt ist.

Vergleicht man die Möglichkeiten für Ausländer, eine Firma in Saudi-Arabien zu gründen, mit denen einer Firmengründung in den Vereinigten Arabischen Emirate, sind die Unterschiede riesig. Saudi-Arabien kann mit dem Mittelstand nichts anfangen; hier sind Großunternehmen interessant– desto riesiger, desto bekannter, desto besser. Die gesetzlichen Vorgaben, die mit dem Betrieb eines Unternehmens einhergehen, sind in Saudi-Arabien erdrückend und für Ausländer zudem kaum absehbar. Eine Atmosphäre, die einen freien Gründer-Spirit fördern könnte, der Kreativität und “Just-lets-try-it”-Idee Raum gibt, ist in Saudi-Arabien nicht vorhanden. Eben das trägt aber ungemein zu einem gesunden Wirtschafts-Biotop bei. Letzendlich das Wichtigste: Wer nach Saudi-Arabien geht, um hier eine Firma zu gründen, der kommt um Geld zu verdienen. Wer das gleiche in Dubai tut, der kommt um Geld zu verdienen und um dort zu leben. Bis Saudi-Arabien soweit ist, falls das die Regierung denn überhaupt will, wird es 25 Jahre dauern #

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