Foto: Lilium N.V.
Der saudi-arabische Flag-Carrier Saudia hat, ebenso wie die Lufthansa und einige andere große Airlines, vor geraumer Zeit ein „Deal Memo“ mit der deutschen Firma Lilium vereinbart. Es geht um die Abnahme elektrischer Mini-Jets, an denen das ehemalige Startup aus München bastelt…und um Fliegen wie in einem Sciencefiction-Film. Sieben Sitze bietet das Lilium-Flugtaxi, eine Reichweite von 250 Kilometer soll es haben und das alles zum Kilometerpreis einer normalen Taxifahrt.
Das jedenfalls war eines der Versprechen beim Börsengang des „eVTOL“-Konstrukteurs vor zwei Jahren. Die in der Luftfahrtindustrie bekannte Abkürzung bezeichnet alle Fluggeräte, die „Vertical Take Of and Landing“ ermöglichen, also Senkrechtstarter, im speziellen Fall elektrisch angetrieben. Eine Handvoll Unternehmen machen als Technologieführer regelmäßig von sich reden, die bekanntesten aus Deutschland sind Volocopter in Bruchsal und Lilium aus München. Das technische Konzept von Lilium hat ein Alleinstellungsmerkmal; der Lilium „Jet“ verfügt über (mittlerweile, nach Designüberarbeitung) 30 kleine, elektrisch angetriebene Propeller. Sie drehen sich nicht frei im Luftraum, sondern sitzen in Röhren wodurch sie den Luftstrom bündeln und in bestimmte Richtungen leiten können. Das erinnert etwas an den Haartrockner, mit dem man daheim heiße Luft produziert.
Ende Januar kursiert eine ominöse Meldung durch die sozialen Medien: Saudia Airlines plane bereits zur Hadsch 2024, einige Pilger mit dem Lilium-Jets zu befördern. Verschiedene Onlinemedien springen auf die Meldung ungeprüft auf – und natürlich ist es eine klassische „Zeitungs-Ente“, also eine Falschmeldung. Doch auch diese wird die Chefetage von Lilium aufgeschreckt haben. Denn so nah in der Realität war man bislang nicht. Wo wir noch einmal beim Thema heißer Luft sind:
Schon seit 2015 werkeln die Münchener an ihrer Vision, die seitdem wenig konkrete Technologie zutage gefördert hat. Immerhin: Im Januar 2024 hat die Europäische Behörde nun endlich die Bestätigung erteilt, dass Lilium ein Flugzeug entwickeln darf. Umtriebig ist die Firma, und da steht man seinen Konkurrenten in nichts nach, bei der Produktion von Animationen und Werbespots, mit denen immer wieder Geldgeber gefunden werden. Für 2024 stand eben noch der Erstflug eines Lilium Jets auf dem Zettel, der jetzt spontan auf Ende 2026 verschoben wurde. Man benötigt also doch noch drei Jahre. Investoren horchen auf. Denn es lässt tief blicken, wenn sich eine Entwicklungsabteilung derartig verschätzt. Das erhöht nicht das Vertrauen in die Konstrukteure.
Unbenommen, die deutsche Ingenieurskunst hat in der Vergangenheit einiges zur Welt der Avionik beigetragen. Oft sind es typische „Das-Dings-im-Ding“-Entwicklungen, also Innovationen und Kniffe, die eine Technologie verbessern, die man als Nicht-Techniker aber nie zu Gesicht bekommt (und wohl auch gar nicht verstehen würde). Immerhin, Otto Lilienthal hat einen Flugdrachen erfunden und Flügelprofile errechnet, Henrich Focke den ersten Hubschrauber entwickelt und Hans von Ohain das Düsentriebwerk serienreif gemacht.
Ist es diese lange Historie kleiner und großer Erfolge „Made in Germany“, wegen derer Geldgeber an die Visionen und technische Kompetenz des Elektro-Flugzeugbauers Lilium aus Deutschland glauben? Wohl eher nicht. Eher wird es gelungenes Marketing sein. Denn Firmen wie Lilium oder auch Volocopter schaffen es seit einigen Jahren, mit erstaunlich wenig handfestem Output immer wieder Investoren zu finden und frische Millionen einzusammeln. Vor ein paar Monaten haben wir im #SaudiMag über den Testflug eines Volocopter-eVTOL in NEOM berichtet, dessen vollmundige Vision in der Realität der saudischen Sonne eher ein vom Boden ferngesteuertes, großes Spielzeug war – sehr weit entfernt von irgendeiner Form der Praxistauglichkeit #Saudimag.
Lilium ist da keinen Schritt weiter, ganz im Gegenteil. Immerhin verfügt Volocopter schon seit ein paar Jahren über einen flugfähigen Prototyp in Originalgröße, in dem ein Pilot und ein Passagier tatsächlich eine Runde drehen könnten – wenn denn bemannte Passagierflüge nicht aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen unmöglich wären. Lilium hingegen hat gegenwärtig – nach fast zehn Jahren Forschung und rund einer Milliarde Euro an internationalen Finanzspritzen – gerade einmal ein kleinskaliertes, per Fernbedienung flugfähiges Modell des Lilium Jets bauen lassen, das die Firma als Test- und Versuchsträger bewirbt. Tatsächlich ist das Modell eher ein Marketing-Gag als eine ernsthafte Forschungsstudie. Denn es verfügt nicht über die innovativen Antriebsdetails, die das theoretische Konzept von Lilium einzigartig machen sollen, und die man dringend testen müsste. Daneben wurde noch ein Messemuster der Kabine bauen lassen, diesmal in Originalgröße, anhand dessen man sich denkbare Sitzpolster ansehen kann. Und natürlich hat Lilium zahlreiche Computeranimationen erstellt. Mehr ist offensichtlich nicht nötig, um sich bei Investoren, öffentlichen wie privaten Geldgebern und bei Fluggesellschaften ins Gespräch zu bringen. Soeben sucht man frisches Geld beim deutschen Steuerzahler.
Bis zum ersten bemannten Flug haben wir noch eine Finanzierungslücke. Wir sind als Unternehmen noch ohne Umsatz, haben zwar Privatinvestitionen von 1,3 Milliarden Euro eingeworben, aber keine Bonität wie ein Großunternehmen. Das ist ein gefährlicher Wettbewerbsnachteil für unseren Standort und insgesamt für Europa
Klaus Roewe. Lilium CEO
Name-dropping, das hat man bei Lilium drauf. Zahlreiche Presseerklärungen kann man auf der Lilium-Webseite finden, aufgemacht mit den Namen großer Flugzeug-Zulieferer oder internationaler Airlines. Das soll klar machen in welcher Liga Lilium spielt. Im Kern geht es darin aber oft um Deal Memos für die Einkauf von Komponenten bei Zulieferbetrieben für den Fall, das Lilium einmal eine Serienproduktion starten sollte. Und um Absichtserklärungen großer Airlines, eine Zusammenarbeit mit Lilium zu prüfen, sollte es denn einmal Fluggeräte geben. Name-dropping, das tut niemand weh, es fließt kein Geld und es sind keine bindenden Verträge. Es ist eine Winwin-Situation für beide: Lilium kann sich unverbindlich mit großen Namen schmücken und große Namen schmücken sich mit ihrem Interesse an neuen Visionen. Das gefällt Investoren. Neben Lufthansa hat auch Saudia, der traditionsreiche Flag-Carrier Saudi-Arabiens, eine solche Vereinbarung getroffen.
Tatsache ist: In Saudi-Arabien ist man neuen Visionen generell sehr aufgeschlossen und neue Transportkonzepte treffen schnell auf offene Ohren. Tatsache ist aber auch, dass man im Königreich greifbare Ergebnisse erwartet. Nicht irgendwann, sondern „asap“ – die Welt dreht sich schnell in Saudi-Arabien. Visionen werden geprüft, durchaus geduldig eine Weile beobachtet, aber auch schnell ad acta gelegt um Platz für neue Impulse zu schaffen. Mit blumigen Worten, Animationen und Ausflüchten haben Anbieter im Königreich eine überschaubare Lebensdauer.
Zieht man die visionären Worte und schönen Anmimationen vom Konzept des Lilium Jet ab, betrachtet also ganz nüchtern das, was technologisch nach fast zehn Jahren Entwicklungszeit geschaffen wurde, bleiben vor allem technische Fragen übrig. Auf die Lilium momentan selbst noch keine Antworten hat – das zeigte die betreffende Anfrage von #SaudiMag bei der Lilium-Presseabteilung, die sprachlos war.
Offensichtlich ist, dass Lilium sehr positiv gerechnet hat, wenn ihr Flugzeug mit seiner maximalen Nutzlast von rund 700 Kilogramm sechs Passagiere zuzüglich Pilot und Gepäck über 250 Kilometer transportieren soll. Denn das Gewicht der notwendigen Flugzeugzelle und erst recht das der für diese Reichweite notwendigen Akkus passen nicht einmal ansatzweise zum Design des Lilium Jet. Schaut man hinüber zu Volocopter, sieht man ein bereits heute flugfähiges eVTOL, das aber gerade einmal 2 Personen über 35 Kilometer transportieren kann. Die Angaben zur Performance des nur auf dem Papier existierenden Lilium Jet machen daher skeptisch: 6 Passagiere, 250 Kilometer Reichweite, 300 km/h Geschwindigket, Akku-Ladezeit 15 Minuten. Allerdings widerspricht sich Lilium mit solchen technischen Angaben ausdauernd selbst.
Schaut man in die Vergangenheit, so weist die Geschichte von Lilium eine Tradition von Ausflüchten und Terminverschiebungen auf. Anfangs waren es die grundlegend schwierigen und komplizierten Technologie- und Sicherheitsanforderungen, die den Entwicklungsprozess immer weiter verlangsamten und nach immer mehr Geld für die Forschung verlangten. Dann waren es internationale Zulassungsprozesse, dann technologische Herausforderungen, die sich als komplizierter als erwartet zeigten. Investoren hatten dafür viel Verständnis, schossen immer mehr Millionen zu.
Den für 2024 geplatzen Erstflug erneut zu verschieben ist gar nicht das große Thema. Luftfahrtexperten prognostizieren schon heute: Selbst weitere drei Jahre werden nicht aussreichen, um ein serienreifes Muster zu haben inklusive der luftrechtlichen Zulassungen. Sie sehen die generelle Musterzulassung eines Lilium Jet insgesamt kritisch und zweifeln sogar das ganze technologische Konzept als utopisch an. Zu viele technische Parameter ihres Fluggerätes, die Lilium immer mal widerwillig verraten oder leichtsinnig in der Werbung genannt hat, passen nicht zueinander. Hinzu kommen sicherheitsrelevante Fragen, deren Lösung einige Luftfahrttechniker im Lilium Jet nicht geklärt sehen. Insbesondere schätzen sie die Übergangsphase vom Senkrecht- zum Horizontalflug mit dem vorliegenden Motorenkonzept als zu fragil ein, um für einen kommerziellen Passagierbetrieb zugelassen zu werden.
Betrachtet man es realistisch, so wird man mit einem serienreifen Fluggerät – wenn überhaupt alle Probleme gelöst werden könnten (was an sich aber unrealistisch ist) – eher um das Jahr 2035 rechnen können. Das ist eine lange Zeit, und es ist zweifelhaft, dass sich Investoren noch so lange mit Computeranimationen und schönen Worten abspeisen lassen. Eher stehen die Zeichen dafür, dass Lilium über kurz oder lang von seinem Lilium Jet Abstand nehmen wird, um ein ganz neues Muster aufzubauen, das einem eher konventionellen Konzept folgen könnte. Dieses könnte dann auf ersten Erfahrungen der eVTOL-Konzepte anderer Hersteller aufbauen. Oder, dass Lilium sich zu einem reinen Beratungsunternehmen für Lufttaxi-Logistik entwickelt, ohne eigenes Muster und ohne eigene Produktion.
Für deutsche Firmen, die Geschäfte in Saudi-Arabien machen oder machen wollen, würde das Versagen von Lilium und das Platzen der Lilium-Blase ein Imageproblem darstellen, das auf alle Branchen ausstrahlen würde. Denn die vielen großen Projekte im Königreich sind Teil der Vision 2030 des heutigen Premierministers und Thronfolgers. Kein Auftraggeber will daran Schuld sein, wenn ein Zeitplan nicht eingehalten, eine Vision nicht erfüllt wird. Daher geht man auf Nummer sicher und beauftragt die besten Köpfe und Unternehmen, die man als Auftragnehmer finden kann. Versagen ist keine Option.
2024 ist ein interessantes Jahr für die Branche, denn bei Olympia in Paris sollen erstmals Volocopter-Flugtaxis eingesetzt werden – wenn denn eine entsprechende Zulassung bis dahin erfolgt ist. Dies wäre eine harte Prüfung für die ganze eVTOL-Branche, da sie sich der harten Kritik der Augen der Welt stellen müsste. Die verfügbaren Volocopter-Flugtaxis sind heutzutage eher eine Spielerei als ein ernsthaftes Transportmittel, und das würde wohl jeder in Paris schnell erkennen. Spannend zu sehen ist weniger, ob die Serienreife des Lilium Jet irgendwann tatsächlich gelingt, als die Frage, ob Lilium in einem Jahr (2025/2026) noch Akteur in dieser Branche sein wird und mit welchem Konzept. Inspiration für den Firmennamen war übrigens der Flugpionier Otto Lilienthal…und dessen berufliches Schicksal ist ja bekannt #
Anmerkung der Redaktion – wir haben nach diesem ausführlichen Bericht von Ende Januar 2024 noch eine weitere, aktuelle Story auf #SaudiMag gebracht (August 2024)
hahaha „Zeitungs-Ente“…die Konstruktion erinnert an ein Entenflügelflugzeug !
Das wirkt wie eine Studentenidee von der man nicht loslassen konnte. Es ist alles viel zu kompliziert gedacht. Wie im Artikel schon richtig angedeutet wird…Lilium muss sich von seiner Extravaganz verabschieden und einen besseren Entwurf finden, sonst gehen die Lichter aus.