Archerflugmaschine

Zweiter Anlauf am Himmel

Von Lufttaxi-Märchen zu ernsthafter Mobilität

Foto: Archer Aviation, GACA

Die Bilder gleichen sich – soweit, so bekannt. Saudi-Arabien glaubt weiter an den Himmel über seinen Städten. Aber diesmal – vielleicht – mit mehr Bodenhaftung. Denn man musste bereits lernen, wie schwer es ist, Visionen vom Reißbrett aus wirklich in die Luft zu bringen. Zu lange hatte man den Versprechungen der deutschen Startups Volocopter und Lilium geglaubt, die auch saudische Millionen in heiße Luft verwandelt haben.

Es klang erst einmal vertraut futuristisch, als das Königreich kürzlich seine Partnerschaft mit dem US-Unternehmen Archer Aviation bekannt gab: elektrische Lufttaxis, leise VTOL-Fluggeräte, urbane Mobilität ohne Stau. Doch hinter den optimistischen Schlagzeilen steckt eine leise, aber entscheidende Verschiebung im Ton. Denn dieser neue Versuch, den urbanen Luftraum zu erobern, entsteht nicht mehr aus naiver Tech-Euphorie – sondern aus Erfahrung. Teurer Erfahrung. Kurzes Rewind zu den frühen 2020ern:

Der Plan hatte sich so sexy angehört…saubere, geräuscharme Elektrolufttaxis, die den Verkehr entlasten und urbane Mobilität nachhaltig transformieren. Nur, dass der Weg hierher keine Straight line nach oben war. Volocopter und Lilium galten als Hoffnungsträger einer neuen Mobilitätsära – auch im saudischen Kontext. Die deutsch-saudische Zusammenarbeit zwischen NEOM und Volocopter führte zu ersten Testflügen eines eVTOL-Air Taxis in Saudi-Arabien, und das Projekt galt als Meilenstein für urbane Luftmobilität. Bilder der futuristischen Maschine über der Wüste gingen um die Welt.

Volocopter stand symbolisch für den Anspruch, Mobilität neu zu denken: elektrisch, emissionsarm, ikonisch. Doch hinter der Kulisse häuften sich Verzögerungen; #SaudiMag hat mehrmals und frühzeitig auf die Lücken im Konzept aufmerksam gemacht (s.o.). Trotz einem saudischen Millionen-Investment und endlosen, positiven Hoffnungsträger-Statements vergingen die Jahre ohne faktische Erfolge. Volocopter meldete insolvenzbedingte Probleme im Jahr 2024, nachdem eine Milliarde Euro verbrannt worden war – die zu einem guten Teil von gutgläubigen Privatanlegern kam. Das zeigt: Testflüge und PR-Fotos sind eine Sache – wirtschaftliche Nachhaltigkeit und Marktreife sind eine ganz andere.Trotz hoher Investitionen kam der kommerzielle Durchbruch nie. Am Ende blieb ein technologisches Versprechen, das der Realität des Marktes nicht standhielt.

Noch dramatischer verlief die Geschichte von Lilium. Das deutsche eVTOL-Startup sammelte Milliarden, präsentierte ein spektakuläres Design und kündigte große Deals an – auch mit saudischen Partnern. Bis zu 100 Lilium Jets wären angeblich nach Saudi-Arabien verkauft worden, z.B. für Saudia und urbanen Premiumverkehr, verkündete das deutsche Startup, das über 1 Milliarde Euro eingesammelt hatte. Zurecht ist das Unternehmen in Insolvenz geraten und schließlich praktisch abgeschaltet worden, bevor ein einziger Jet ausgeliefert wurde. Was ohnehin vor 2035 nicht realistisch gewesen war. Geplant waren Dutzende Jets, gedacht für Premium-Mobilität und visionäre Städte.

Von den Amerikanern will sich Saudi-Arabien nicht noch einmal täuschen lassen wie von den Deutschen zuvor. Es geht nicht mehr um ikonische Bilder, sondern um uncoole und nüchterne Fakten

#SaudiMag hatte früh darauf hingewiesen, dass die frühen eVTOL-Initiativen Volocopter und Lilium weniger durch marktreife Planung als durch Symbolkraft getrieben waren. Der Wunsch der Saudis, Teil der Zukunft zu sein, war größer als die Bereitschaft, sie geduldig aufzubauen oder auch nur den Stand der Entwicklung realistisch zu prüfen.

Archerdingsi001

Nach Volocopter und Lilium kommen von Archer Aviation aus den USA jetzt…vertraute Bilder

Als Saudi-Arabien jetzt seine neue Partnerschaft mit dem US-Unternehmen Archer Aviation verkündet, geht es nicht um Wow-Effekte oder ikonische Bilder für Investoren-Präsentationen. Es geht um etwas viel Uncooleres – und genau deshalb um etwas viel Größeres: Regulierung, Sicherheit, Systeme. Um das Fundament einer Idee, die im Königreich schon einmal sehr hoch geflogen ist. Und sehr hart gelandet. Deshalb stehr statt spektakulärer Renderings diesmal der regulatorische Unterbau im Mittelpunkt. Die Partnerschaft zielt zunächst nicht auf schnelle Passagierflüge, sondern auf Standards, Zertifizierungen und Sicherheitsprozesse, die sich an der US-Luftfahrtbehörde FAA orientieren. Testflüge, Infrastrukturprüfungen und schrittweise Einführung ersetzen große Versprechen. Es ist ein langsamerer Weg – aber einer, der ernsthaft fliegen will.

Archer CEO Adam Goldstein

Saudi-Arabien verfolgt den Aufbau eines Mobilitätsökosystems der nächsten Generation mit bemerkenswerter Klarheit und Dringlichkeit“, so Goldstein.
„Wir fühlen uns geehrt, Teil dieser transformativen Reise zu sein

Sieht man von den zur Genüge bekannten Zitat-Bausteinen der Beteiligten ab, ist die Rhetorik doch insgesamt etwas nüchterner geworden. Saudi-Arabiens Luftfahrtbehörde GACA spricht von Integration in bestehende Luftverkehrssysteme, von Sicherheitsarchitektur und ökologischer Nachhaltigkeit. Archer wiederum lobt nicht Visionen, sondern Klarheit und Tempo in der Entscheidungsfindung. Das klingt weniger nach Science-Fiction – und genau deshalb glaubwürdiger. Der Unterschied zu früheren Projekten liegt nicht im Traum, sondern im Umgang mit ihm. Das Königreich scheint akzeptiert zu haben, dass Zukunft nicht durch große Schecks entsteht, sondern durch belastbare Systeme. Dass Innovation nicht laut, sondern präzise sein muss.

Archerdingsi002

Archer Aviation testet ebenfalls seit mehreren Jahren und zieht es ebenfalls vor, seine Flugmaschinen per Fernsteuerung vom Boden aus Kreise ziehen zu lassen – so weit waren Volocopter und Lilium auch schon

Der neue Ansatz mit Archer Aviation wirkt deshalb wie ein bewusster Neustart. Kein Renderings-Overkill, kein „world’s first“-Narrativ. Stattdessen ein strukturierter Plan: Standards nach FAA-Niveau, schrittweise Tests, Integration in bestehende Luftverkehrssysteme. Erst Ordnung im Luftraum, dann Passagiere.

Saudi-Arabien bleibt damit seiner Rolle treu – als Land, das groß denkt. Aber es zeigt auch etwas Neues: die Bereitschaft, aus gescheiterten Experimenten zu lernen. Der zweite Start ist weniger spektakulär. Und genau deshalb vielleicht der entscheidende. #

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

mehr
Kein Schnee? Kein Problem…
Bleiben Sie neugierig:
Total
0
Share